BGH: Zustellung von Anwalt zu Anwalt

bghWenn ein Anwalt einen Kollegen ein Schriftstück formell ordnungsgemäß zustellen möchte, muss er dafür nicht unbedingt den Umweg über den Gerichtsvollzieher wählen. Stattdessen kann er auch unmittelbar von Anwalt zu Anwalt gegen Empfangsbekenntnis zustellen. Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs müssen Anwälte an einer solchen Zustellung jetzt aber nicht mehr mitwirken. Nach einem von uns erwirkten Urteil des Senats für Anwaltssachen vom 26. Oktober 2015, AnwSt(R) 4/15, regelt § 14 BORA nur die Zustellung durch Gerichte und Behörden.

Stein des Anstoßes war eine einstweilige Verfügung, die ein Rechtsanwalt dem Kollegen, der den Verfügungsschuldner vertrat, auf den letzten Drücker zustellen wollte. Eine solche Zustellung muss nämlich binnen eines Monats erfolgen. Gelingt die Zustellung nicht rechtzeitig, wird die einstweilige Verfügung auf Antrag hin kostenpflichtig aufgehoben. Für den Verfügungsgläubiger, der den Beschluss womöglich mühsam erwirkt hat, ist das natürlich ein schwerer Schlag ins Kontor.

Schneller als mit dem Gerichtsvollzieher funktioniert die Zustellung von Anwalt zu Anwalt gegen Empfangsbekenntnis nach § 195 ZPO. Hier muss der empfangende Rechtsanwalt lediglich ein Empfangsbekenntnis unterschreiben und an den absendenden Kollegen zurückschicken. Bislang sind Literatur und Rechtssprechung nahezu ausnahmslos davon ausgegangen, dass ein Rechtsanwalt verpflichtet ist, notfalls auch gegen den erklärten Willen des eigenen Mandanten durch die Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses an einer ordnungsgemäßen Zustellung mitzuwirken. Aus unserer Sicht ist das mit dem Selbstverständnis des Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren, in erster Linie Interessenwalter des eigenen Mandanten und erst in zweiter Linie zur Kollegialität verpflichtet zu sein. Schließlich brockt er seinem Auftraggeber ja durch die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses eine wirksam vollzogene einstweilige Verfügung mit den damit verbundenen Rechts- und Kostenfolgen ein. Das sah auch unser Mandant so, der sich im Jahr 2012 weigerte, an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt mitzuwirken. Unter Hinweis darauf, dass § 14 BORA schon aus formellen Gründen – der Satzungsversammlung der Rechtsanwaltskammer fehlte die notwendige Ermächtigungsgrundlage – weigerte er sich, das ihm mit einem Verfügungsbeschluss überlassene Empfangsbekenntnis zu unterzeichnen und zurückzusenden, nachdem der Mandant das zuvor ausdrücklich untersagt hatte. Nachdem die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf angekündigt hatte, sich mit der Angelegenheit aus standesrechtlicher Sicht zu befassen, zeigte sich der Kollege selbst an.

Nach dem Anwaltsgericht Düsseldorf und dem Anwaltsgerichtshof Hamm hat jetzt auch der Anwaltssenat beim Bundesgerichtshof die hier vertretene Auffassung bestätigt. § 14 BORA regelte ausschließlich die Verpflichtung eines Rechtsanwalts, an Zustellungen mitzuwirken, die von Gerichten und Behörden initiiert wurden. Für eine wirksame Verpflichtung von Anwälten, auch an Zustellungen von Kollegen durch Erteilung eines Empfangsbekenntnisses mitzuwirken, werde in § 14 BORA schon deshalb nicht geregelt, weil es der Satzungsversammlung hierzu an der gesetzlich vorgeschriebenen Ermächtigungsgrundlage gefehlt habe. Der Kollege wurde deshalb vom Vorwurf eines Standesrechtsverstoßes freigesprochen.

Für die Praxis folgt daraus, dass ein Rechtsanwalt selbstredend an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt mitwirken darf und das auch sollte, wenn aus der Sicht des Mandanten gegen eine solche kostengünstige und unkomplizierte Zustellungsmöglichkeit nichts spricht. Geht es allerdings darum, den Prozessgegner zu helfen, etwa indem dieser kurz vor Toresschluss noch eine Zustellung zustande bringt, sollte der Anwalt tunlichst davon absehen, an der Zustellung mitzuwirken. Das gilt natürlich erst Recht, wenn der Mandant ihm eine solche Mitwirkung ausdrücklich untersagt hat. Setzt sich der Rechtsanwalt nämlich dann über den Willen des Mandanten hinweg, macht er sich womöglich schadensersatzpflichtig. Der Anwaltsgerichtshof Düsseldorf hat sogar angesprochen, dass dann eine Strafbarkeit wegen Parteiverrats gemäß § 365 StPO in Betracht kommt. Umgekehrt sollte ein Anwalt, der Schriftstücke zuzustellen hat, bei fristgebundenen Zustellungen rechtzeitig tätig zu werden und damit rechnen, dass der angeschriebene Kollege an einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt nicht mehr mitwirkt.

Im Übrigen bleibt jetzt abzuwarten, ob der Gesetzgeber tätig wird und die Verpflichtung von Anwälten, an Zustellungen unter Kollegen mitzuwirken, neu regelt.

Vgl. dazu auch: DER FALL FRANZ – BGH: KEINE PFLICHT ZUR MITWIRKUNG BEI ZUSTELLUNGEN ZU LASTEN DES EIGENEN MANDANTEN