EuGH, Urt. v. 02.07.20, C-684/19 - Haftung des Unterlassungsschuldners für das Handeln Dritter

entscheidungen

Ein Unterlassungsschuldner hat für die selbstständige Weiterverbreitung seiner bzw. einer von ihm in Auftrag gegebenen markenverletzenden Veröffentlichung, die von der Unterlassungsverpflichtung betroffen ist, durch Dritte grundsätzlich nicht einzustehen. In solch einem Fall muss der Verletzte unmittelbar gegen den Dritten vorgehen. Die selbständige Veröffentlichung des Dritten stellt keine »Benutzung« der Marke durch den Unterlassungsschuldner im Sinne des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95/EG (Markenrichtlinie) dar.

Gerichtshof der Europäischen Union
Urt. v. 02.07.20, C-684/19

Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass eine im geschäftlichen Verkehr auftretende Person, die auf einer Website eine Anzeige hat platzieren lassen, durch die eine Marke eines Dritten verletzt wird, das mit dieser Marke identische Zeichen benutzt, wenn Betreiber anderer Websites diese Anzeige übernehmen, indem sie sie auf diesen anderen Websites veröffentlichen.

Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass eine Handlung, die darin besteht, Waren oder Dienstleistungen unter einem mit der Marke eines Dritten identischen oder dieser ähnlichen Zeichen anzubieten oder zu bewerben, eine „Benutzung“ dieses Zeichens darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. März 2010, Google France und Google, C‑236/08 bis C‑238/08, EU:C:2010:159, Rn. 45 und 61 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach ständiger Rechtsprechung liegt außerdem eine solche Benutzung des mit der Marke eines Dritten identischen oder dieser ähnlichen Zeichens vor, wenn das von einem Werbenden als Schlüsselwort im Rahmen eines Internetreferenzierungsdiensts ausgewählte Zeichen das von dem Werbenden verwendete Mittel ist, um das Erscheinen seiner Anzeige auszulösen, auch wenn das fragliche Zeichen nicht in der Anzeige selbst erscheint (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2011, Interflora und Interflora British Unit, C‑323/09, EU:C:2011:604, Rn. 30 und 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Somit ist, wenn eine im geschäftlichen Verkehr auftretende Person bei dem Betreiber einer Referenzierungswebsite die Veröffentlichung einer Anzeige in Auftrag gibt, die ein mit der Marke eines Dritten identisches oder dieser ähnliches Zeichen enthält oder deren Erscheinen durch dieses Zeichen ausgelöst wird, davon auszugehen, dass diese Person dieses Zeichen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 benutzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2016, Daimler, C‑179/15, EU:C:2016:134, Rn. 29 und 30).

Hingegen sind der betreffenden Person unter dem Blickwinkel von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 selbständige Handlungen anderer Wirtschaftsteilnehmer wie die der Betreiber von Referenzierungswebsites, mit denen sie keine unmittelbare oder mittelbare Beziehung unterhält und die nicht in ihrem Auftrag und für ihre Rechnung, sondern auf eigene Initiative und im eigenen Namen handeln, nicht zuzurechnen (vgl. entsprechend Urteil vom 3. März 2016, Daimler, C‑179/15, EU:C:2016:134, Rn. 36 und 37).

Der Ausdruck „benutzen“ in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 erfordert nämlich ein aktives Verhalten und eine unmittelbare oder mittelbare Herrschaft über die Benutzungshandlung. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn diese Handlung von einem unabhängigen Wirtschaftsteilnehmer ohne Zustimmung des Werbenden vorgenommen wird (Urteil vom 3. März 2016, Daimler, C‑179/15, EU:C:2016:134, Rn. 39).

Diese Bestimmung kann somit nicht dahin ausgelegt werden, dass eine Person unabhängig von ihrem Verhalten als Benutzer eines mit der Marke eines Dritten identischen oder dieser ähnlichen Zeichens angesehen werden kann, nur weil diese Benutzung ihr möglicherweise einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2016, Daimler, C‑179/15, EU:C:2016:134, Rn. 42).

Gemäß dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs wird das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall zu prüfen haben, ob sich aus einem Verhalten von mk advokaten im Rahmen einer unmittelbaren oder mittelbaren Beziehung zwischen ihr und den Betreibern der betreffenden Websites ergibt, dass diese Betreiber die Anzeige im Auftrag und für Rechnung von mk advokaten online gestellt hatten. Liegt ein solches Verhalten nicht vor, kann MBK Rechtsanwälte nicht aufgrund des ausschließlichen Rechts nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 wegen der Veröffentlichung der Anzeige auf anderen Websites als auf der des Verzeichnisses Das Örtliche gegen mk advokaten vorgehen.

Dies wirkt sich weder auf die Möglichkeit von MBK Rechtsanwälte aus, von mk advokaten gegebenenfalls die Erstattung wirtschaftlicher Vorteile auf der Grundlage des nationalen Rechts einzufordern, noch auf ihre Möglichkeit, gegen die Betreiber der betreffenden Websites vorzugehen (vgl. entsprechend Urteil vom 3. März 2016, Daimler, C‑179/15, EU:C:2016:134, Rn. 43).

Was letzteren Aspekt betrifft, kann im Fall einer Übernahme einer Anzeige durch Betreiber von Websites auf deren eigene Initiative und in deren eigenem Namen nicht davon ausgegangen werden, dass der Wirtschaftsteilnehmer, dessen Waren oder Dienstleistungen auf diese Weise beworben werden, Kunde dieser Betreiber ist. Folglich findet die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach der Betreiber einer Referenzierungswebsite die mit Marken Dritter identischen oder ihnen ähnlichen Zeichen, die in Anzeigen seiner Kunden enthalten sind oder die das Erscheinen dieser Anzeigen auslösen, nicht selbst benutzt (vgl. u. a. Urteile vom 23. März 2010, Google France und Google, C‑236/08 bis C‑238/08, EU:C:2010:159, Rn. 56, sowie vom 2. April 2020, Coty Germany, C‑567/18, EU:C:2020:267, Rn. 39 und 40), auf einen solchen Fall keine Anwendung.

In einem solchen Fall benutzen diese Betreiber von Websites mit Marken Dritter identische oder ihnen ähnliche Zeichen, die in Verkaufsangeboten oder Anzeigen, die diese Betreiber veröffentlichen, enthalten sind oder die das Erscheinen dieser Anzeigen auslösen, im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 (vgl. entsprechend Urteil vom 2. April 2020, Coty Germany, C‑567/18, EU:C:2020:267, Rn. 48). Die Inhaber dieser Marken können somit gegen diese Betreiber aufgrund des ausschließlichen Rechts nach Art. 5 Abs. 1 vorgehen, wenn mit diesen Angeboten oder Anzeigen Waren oder Dienstleistungen beworben werden, die mit denjenigen, für die diese Marken eingetragen sind, identisch oder ihnen ähnlich sind.

Eine solche Auslegung dieser Bestimmung stimmt mit deren Zweck überein, dem Markeninhaber ein rechtliches Instrument an die Hand zu geben, das es ihm ermöglicht, jegliche Benutzung seiner Marke durch einen Dritten ohne seine Zustimmung zu verbieten und somit zu beenden (Urteil vom 2. April 2020, Coty Germany, C‑567/18, EU:C:2020:267, Rn. 38).

Was schließlich den Umstand betrifft, auf den im Vorlagebeschluss hingewiesen wurde, dass in der Rechtssache, in der das Urteil vom 3. März 2016, Daimler (C‑179/15, EU:C:2016:134), ergangen ist, die Anzeige, durch die die Marke eines Dritten verletzt wurde, zunächst rechtmäßig war, während im vorliegenden Fall durch die im Ausgangsverfahren gegenständliche Anzeige von Anfang an eine Marke eines Dritten verletzt wurde, genügt der Hinweis, dass dieser Umstand für die im Rahmen der vorliegenden Vorlage zur Vorabentscheidung allein geprüfte Frage, wer im Fall einer Übernahme einer Anzeige, durch die eine Marke eines Dritten verletzt wird, Benutzer des mit dieser Marke identischen oder ihr ähnlichen Zeichens ist, unerheblich ist.

Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass eine im geschäftlichen Verkehr auftretende Person, die auf einer Website eine Anzeige hat platzieren lassen, durch die eine Marke eines Dritten verletzt wird, das mit dieser Marke identische Zeichen nicht benutzt, wenn Betreiber anderer Websites diese Anzeige übernehmen, indem sie sie auf eigene Initiative und im eigenen Namen auf diesen anderen Websites veröffentlichen.

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