entscheidungen

Außerhalb des Wettbewerbsrechts (§ 8 Abs. 4 UWG) gelten höhere Anforderungen an die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Abmahnung und der Prozessführung. Die Grenze zum Rechtsmissbrauch ist überschritten, wenn überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt werden, die sich als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung darstellen, nämlich zu Lasten der Beklagten und zu Gunsten der Klägerin Zahlungsansprüche zu generieren. Das war im vorliegenden Fall (Abmahnung wegen unerwünschter Faxwerbung) aufgrund zahlreicher Indizien der Fall.

Streitwert: 3.000,00 €

Brandenburgisches OLG
Urt. v. 26.06.20, 6 U 119/1

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28.06.2019 verkündete Urteil des Landgerichtes Frankfurt (Oder) - 12 O 257/18 - abgeändert.

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von den Beklagten auf Grundlage der §§ 823, 1004 BGB die unaufgeforderte Zusendung von Werbung per Telefax zu unterlassen.

Die Klägerin vertreibt Verpackungsmaterialien, die Beklagte zu 1) bietet Betriebs- und Bürobedarf an, der Beklagte zu 2) ist ihr Geschäftsführer. In den Jahren 2014 bis 2017 kaufte die Klägerin gelegentlich Artikel bei der Beklagten. Am 12.06.2018 erhielt die Klägerin um 13.24 Uhr unter ihrer Faxnummer 0... ein mit "Aktionsangebot Juni 2018 moderne Bürogestaltung" überschriebenes Telefax der Beklagten zu 1) mit Werbung für Büroartikel. Auf dem Telefax befindet sich auch Name und Adresse der Klägerin nebst einer Kundennummer.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 14.06.2018, adressiert an die Beklagte zu 1), forderte die Klägerin diese sowie Herrn M... B... als deren (vermeintlichen) Geschäftsführer unter Hinweis darauf, dass sie in die Übersendung von Werbung nicht eingewilligt habe, auf, entsprechende Werbung zu unterlassen. Zugleich verlangte sie die Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung bis zum 22.06.2018. Mit Schreiben vom 22.06.2018 wiesen die Inanspruchgenommenen die Abmahnung zurück, versicherten allerdings zugleich, sie würden sicherstellen, der Klägerin keine Telefax-Werbung mehr zu übersenden. Zugleich ließen sie mit anwaltlichem Schreiben vom selben Tag die Abmahnung mangels Vorlage einer Originalvollmacht und mit weiterem Schreiben vom 28.06.2018 wegen Rechtsmissbräuchlichkeit zurückweisen.

Die Klägerin hat zunächst mit Antrag vom 22.06.2018 beim Landgericht Frankfurt (Oder) den Erlass einer einstweiligen Verfügung (Beschlussverfügung vom 26.06.2018) gegen die Beklagte zu 1) und Herrn M... B... erwirkt, die auf den Widerspruch der dortigen Verfügungsbeklagten mit Urteil vom 15.09.2018 aufgehoben worden ist.

(Wegen des Inhalts der dort ergangenen Entscheidungen und der von den Parteien im Verfahren auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gewechselten Schriftsätze wird auf die beigezogene Verfahrensakte des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 19 O 105/18 - Bezug genommen.)

Mit der Klageschrift vom 30.11.2018 hat die Klägerin die Beklagte zu 1) und nunmehr den Beklagten zu 2) als deren Geschäftsführer auf Unterlassung in Anspruch genommen. In der Klageschrift ist u.a. ausgeführt, die Klägerin habe die streitgegenständliche Werbung von "den ihr völlig unbekannten Beklagten" erhalten.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stehe ein Anspruch auf Unterlassung der ohne ausdrückliche Einwilligung erfolgten Zusendung des Werbefaxes gegenüber beiden Beklagten wegen Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu. Durch die Zusendung des Faxes seien ihr Kosten infolge des Verbrauches von Papier, Toner und Strom entstanden, weitere Kosten erwüchsen wegen notwendiger Wartung des Gerätes und Inanspruchnahme der Arbeitszeit ihrer Angestellten für das Aussortieren der Telefaxe. Erhöhte Kosten und Ausfall des Empfangsbetriebs drohten bei nächtlichen, nicht sofort reparierbaren Papierstaus, zudem werde die Anlage in ihrer bestimmungsgemäßen Funktion beeinträchtigt, wenn während des Empfangs eines Werbe-Telefaxes kein anderes Schreiben empfangen und keine Telefonate geführt werden könnten. Neben der Beklagten zu 1) als unmittelbar Werbenden sei auch der Beklagte zu 2) als ihr Repräsentant eigenständig zur Unterlassung verpflichtet. Die Beklagten hätten die Übersendung der Werbung sowohl an die konkret angewählte, wie auch an alle anderen Faxnummern der Klägerin zu unterlassen.

Der Gegenstandswert für die vorgerichtliche Abmahnung betrage 5.000 € je Beklagten, insgesamt 10.000 €.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen

1. es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zwecks Werbung mit der Klägerin per Telefax, insbesondere unter deren Telefax-Nummern +49-0...sowie beginnend mit +49-40...-xx, ohne deren vorherige ausdrückliche Einwilligung Kontakt aufzunehmen und/oder aufnehmen zu lassen und/oder an dieser Kontaktaufnahme mitzuwirken.

2. die Klägerin freizustellen von 745,40 € vorgerichtlichen Abmahnkosten, berechnet nach einem Gegenstandswert von 10.000 € bei einer Geschäftsgebühr von 1,3.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen,

Sie haben die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht klagebefugt, die Abmahnung sei rechtsmissbräuchlich erfolgt i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG und begründe auch keinen Anspruch auf Aufwendungsersatz. Wie sich aus einer Reihe von Indizien ergebe, zu denen sie im Einzelnen ausführen (insoweit wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 11.03.2019 Bezug genommen), gehe es der Klägerin allein darum, einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung zu begründen und dies zu einem möglichst hohen Betrag.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch zu nach §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die unaufgeforderte und ohne Einwilligung der Klägerin erfolgte Übersendung von Werbung per Telefax stelle einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin dar, mit dem Sichten und Aussortieren unerbetener Werbung sei ein zusätzlicher, wenn auch möglicherweise im Hinblick auf die streitgegenständliche Werbung geringfügiger Arbeitsaufwand verbunden. Der Beklagte zu 2) hafte als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) für deren unerlaubte Handlung, weil er als Absender der Werbung anzusehen sei. Es bestehe eine Wiederholungsgefahr, weil die Beklagten die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben hätten. Rechtsmissbrauch liege nicht vor, ein solcher werde insbesondere nicht dadurch indiziert, dass die Klägerin gerichtsbekannt auch weitere Unternehmen wegen unerwünschter Werbung in Anspruch nehme. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken der Klägerin mit ihrem Prozessbevollmächtigten mit dem Ziel der Generierung von Kostenerstattungsansprüchen.

Mit der Berufung verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter. Sie wiederholen ihre Ansicht, das Vorgehen der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG und wiederholen, wie aus dem Schriftsatz vom 18.09.2019, auf den Bezug genommen wird, ersichtlich, zur Begründung die bereits erstinstanzlich dargelegten Indizien. Zu Unrecht habe das Landgericht als maßgeblich erachtet und dies hier verneint, dass der abmahnende Rechtsanwalt die Partei nur als Strohmann benutze oder dass ein kollusives Zusammenwirken des Rechtsanwalts mit der Partei vorliege. Vielmehr könne ein missbräuchliches Kostenbelastungs- bzw. -erzielungsinteresse auch dann vorliegen, wenn die Partei selbst ihr Vorgehen besonders kostenbelastend gestalte oder der Gegenseite, wie vorliegend, eine unangemessene Vertragsstrafenregelung unterschiebe.

Die Beklagten beantragen sinngemäß,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und wiederholt, trotz einiger geringfügiger Einkäufe bei der Beklagten zu 1) in der Vergangenheit habe sie keine Einwilligung erteilt, Werbung von der Beklagten per Telefax zu erhalten. Zu Recht habe das Landgericht auch ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen verneint. Der Umstand, dass sie Abmahnverfahren gegenüber verschiedenen Unternehmen angestrengt habe, begründe eine entsprechende Wertung nicht. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass sie den Beklagten 2) zusammen mit der Beklagten zu 1) in Anspruch genommen habe. Der Beklagte zu 2) hafte als Repräsentant der Beklagten zu 1) für deren unerlaubte Werbung. Er habe das Werbefax-Konzept entwickelt und keine ausreichenden Sicherungen installiert, die die Zusendung von Werbung ohne Einwilligung verhinderten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist begründet. Die Klägerin kann gegenüber den Beklagten weder einen Unterlassungsanspruch noch die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten durchsetzen, denn ihr fehlt für ihre rechtsmissbräuchlich erhobene Klage das Rechtsschutzbedürfnis. Das landgerichtliche Urteil war entsprechend abzuändern und die Klage als unzulässig abzuweisen.

1) Wird eine Klage rechtsmissbräuchlich erhoben, hat dies nicht nur die Unbegründetheit, sondern die Unzulässigkeit der Klage zur Folge, weil ein prozessuales Recht missbraucht wird (OLG Hamm, Urteil vom 22.12.2014 - I-5 U 80/14, Rn 50; OLG Stuttgart Urteil vom 23.01.2002 - 20 U 54/01 Rn 45; so wohl auch BGH, Urteil vom 17.11.2005 - I ZR 300/02 - MEGA SALE Rn 15 in Bezug auf § 8 Abs. 4 UWG). Der das materielle Recht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gilt auch im Verfahrensrecht (BGHZ 172, 222 Rn 12 mwN). Er verpflichtet die Parteien zu redlicher Prozessführung und verbietet den Missbrauch prozessualer Befugnisse. Rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig ist die Ausübung solcher Befugnisse, wenn sie nicht den gesetzlich vorgesehenen, sondern anderen, nicht notwendig unerlaubten, aber funktionsfremden und rechtlich zu missbilligenden Zwecken dient (vgl. BGH a.a.O.). Dieser Einwand ist von Amts wegen zu beachten und erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände unter Berücksichtigung des Verhaltens des Gläubigers bei der Verfolgung des streitgegenständlichen und anderer Verstöße, der Art und Schwere des inkriminierten Verhaltens sowie des Verhaltens des Schuldners nach dem Verstoß (BGH, Urteil vom 15.12.2011 - I ZR 174/10 Rn 15 zu § 8 Abs. 4 UWG). Bei der Bewertung können die Umstände, die im Rahmen des § 8 Abs. 4 S. 1 UWG einen Rechtsmissbrauch begründen, herangezogen werden, allerdings sind die Anforderungen an die Annahme rechtsmissbräuchlicher Prozessführung in anderen Rechtsbereichen als dem des wettbewerbsrechtlichen Rechtsschutzes höher anzusetzen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.09.2007 - 11 W 48/07, Rn 8). Dies gilt auch für mögliche Klagen, die - wie hier - auf einen vorgeblichen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gerichtet sind.

2) Bei der nach diesen Kriterien vorzunehmenden Würdigung aller Umstände, für die das Verhalten der Klägerin nicht nur im Verlauf des Klageverfahrens, sondern auch während des Abmahnverfahrens und des Verfahrens auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung zu berücksichtigen ist, ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin mit der klageweisen Geltendmachung des Unterlassungsanspruches überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt, die sich als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung darstellen, nämlich zu Lasten der Beklagten und zu ihren, der Klägerin Gunsten Zahlungsansprüche zu generieren. Ob ihr - diese Motive hinweggedacht - materiell-rechtlich ein Anspruch auf Unterlassung des inkriminierten Verhaltens gegenüber den Beklagten tatsächlich zustehen könnte, bedarf keiner Entscheidung mehr, weil ihre sachfremden Motive und Zwecke, wie sie sich bei sorgfältiger Prüfung aus den äußeren Umständen erschließen, überwiegen (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2005 - MEGA Sale, a.a.O., Rn 16; OLG Hamm, Urteil vom 23.01.2014 - 4 U 118/13):

Die - noch auszuführende - Verfahrensgestaltung durch die Klägerin spricht für rechtsmissbräuchliches Vorgehen. Ob daneben auch die Vielzahl der von der Klägerin angestrengten Verfahren wegen Zusendung unerwünschter Werbung - die Klägerin selbst zitiert in der Klageschrift die von ihr zumindest bei dem Landgericht Frankfurt (Oder) angestrengten Verfahren nach Aktenzeichen und Streitwert - für Rechtsmissbrauch sprechen könnten, muss hier nicht entschieden werden.

a) Bereits die für die Klägerin durch ihren anwaltlichen Vertreter ausgesprochene Abmahnung ist rechtsmissbräuchlich erfolgt. Art und Weise ihrer Gestaltung lassen erkennen, dass bei Ausspruch der Abmahnung ein Kostenbelastungsinteresse zu Lasten der Beklagten im Vordergrund stand. Ein maßgebliches Indiz dafür ist die Forderung nach überhöhter Vertragsstrafe unter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2011 - I ZR 174/10 - Bauheizgerät, Rn 33), wie sie in der von der Klägerin vorformulierten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung vorgegeben ist: die Klägerin hat dort der Beklagten zu 1) und Herrn M... B... für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs eine Vertragsstrafe in Höhe von 5.001 € unterbreitet, obwohl im Hinblick auf das Gewicht des inkriminierten Verstoßes, nämlich der Versendung eines einzelnen Telefaxes mit Werbung, der für sich genommen geringfügig und leicht zu ermitteln ist, ein Betrag von 1.000 bis 1.500 € als angemessen anzusehen sein dürfte.

Mit der vorformulierten Erklärung hat die Klägerin ferner eine Verpflichtung der Beklagten dahin gefordert, ihr die Kosten der Inanspruchnahme ihres Rechtsanwalts aus einem Streitwert von 10.000 € zu erstatten mittels Überweisung binnen "1 Woche" nach Unterzeichnung der Erklärung, andernfalls die vorgenannte Vertragsstrafe verfalle.

Auch der Hinweis der Klägerin im Abmahnschreiben betreffend die vorformulierte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung, "Nur diese strafbewehrte Erklärung kann den Unterlassungsanspruch erledigen", weist darauf, dass das eigentliche Motiv für die Abmahnung in der Generierung von Kostenerstattungsansprüchen liegt. Denn mit diesem Hinweis hat die Klägerin suggeriert, nur mit dem Wortlaut der vorformulierten Erklärung könne die Wiederholungsgefahr ausgeschlossen werden, mithin sei auch die dort enthaltene Verpflichtung zur Übernahme der Kosten des vorgerichtlich für die Klägerin auftretenden Rechtsvertreters für den Ausschluss der Wiederholungsgefahr zwingend. Zudem sollte nach der von der Klägerin den Inanspruchgenommenen unterbreiteten Formulierung die Vertragsstrafe, die zu zahlen sich die Beklagten zu verpflichten hatten, auch dann verfallen, wenn diese Rechtsanwaltskosten nicht fristgerecht auf dem Konto ihres Rechtsvertreters eingegangen waren, wobei die Klägerin eine - auffällig kurze - Zahlungsfrist von einer Woche setzte und die zu zahlenden Gebühren nicht konkret bezeichnete, sondern nur die Bemessungsgrundlagen nach RVG darstellte (1,3 Gebühr gemäß 2300 VV RVG zuzüglich Auslagen nach einem Streitwert von 10.000 €) und die Ermittlung des tatsächlich geschuldeten Betrages den Inanspruchgenommenen, juristischen Laien, überließ. Damit hat die Klägerin das Risiko der Inanspruchgenommenen, nicht fristgerecht den vollen Betrag zu zahlen und bereits deshalb die Vertragsstrafe zu verwirken, in deutlicher Weise erhöht, ohne dass dafür ein berechtigtes Interesse ihrerseits erkennbar wäre. Zudem hat sie den Inanspruchgenommenen für die Bemessung der Rechtsanwaltskosten einen unzutreffenden, überhöhten Gegenstandswert vorgegeben.

Der von der Klägerin mit der Abmahnung und später bei Erhebung der Klage angesetzte Gegenstandswert ist weit überhöht. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Klageerhebung im hier zu entscheidenden Rechtsstreit am 30.11.2018 war der Klägerin die Entscheidung des Senats vom 28.08.2018 (6 W 110/18) bekannt, wonach bei Streitigkeiten wegen Zusendung unerwünschter Werbung, an der nicht Mitbewerber im Sinne des UWG beteiligt sind, wie es hier der Fall ist, ein Gebührenstreitwert von 3.000 € anzunehmen ist und eine Vervielfachung des Streitwerts entsprechend der Anzahl der in Anspruch genommenen Gegner nicht in Betracht kommt. In diesem Beschwerdeverfahren, an dem die Klägerin selbst beteiligt war, hatte der Senat im Einzelnen die für die Wertbestimmung maßgeblichen Gründe ausgeführt und ferner, aus welchen Gründen eine Vervielfachung des Gegenstandswertes bei der Inanspruchnahme mehrerer Beklagter ausgeschlossen sei.

Der Umstand, dass der Abmahnung eine Vollmacht zu Gunsten des für die Klägerin auftretenden Rechtsanwalts nicht beigefügt, sie mithin nicht ordnungsgemäß war (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.07.2000 - 20 W 37/00), und die nachgereichte Vollmacht erst vom 22.06.2018 datierte, während die Abmahnung selbst bereits am 14.06.2018 ausgesprochen worden ist, begründet hier zudem weiter den Verdacht, der beauftragte Anwalt betreibe die Abmahnungen in eigener Regie jedenfalls als Geschäft (Köhler/Bornkamm, UWG, 38. Aufl. 2020, § 8 Rn 4.12 b).

Hinzu kommt, dass die Klägerin, wie dem Senat aus einer Reihe von gerichtlichen Verfahren bekannt ist und wie auch die Beklagten zutreffend monieren, ihre Abmahnschreiben und bei Gericht eingereichten Schriftsätze textbausteinähnlich aus abstrakten Ausführungen zusammensetzt und nur ganz vereinzelt auf den individuellen Vorwurf zuschneidet.

Zudem ist die in den Schriftsätzen gewählte Schriftgröße und der Zeilenabstand derart klein, dass das Lesen des jeweiligen Textes stark erschwert ist. Es drängt sich der Verdacht auf, dass durch diese Gestaltung der Leser in die Gefahr geraten soll, Wichtiges zu übersehen.

b) Die Klägerin hat zudem neben der Beklagten zu 1) als das Unternehmen, das die inkriminierte Werbung verantwortet, auch den Beklagten zu 2) als deren Geschäftsführer auf Unterlassung in Anspruch genommen und hat dies mit einer (behaupteten) bundesweiten Rechtsprechung begründet unter Zitierung von Entscheidungen, die allerdings nicht zum Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ergangen sind, sondern zu urheberrechtlichen Streitigkeiten bzw. zu solchen, welche die Verletzung absoluter Rechte betreffen. Diese Rechtsprechung kann im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung kommen. Es liegt mithin nahe, dass die Inanspruchnahme des Beklagten zu 2) als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) allein zu dem Zweck erfolgt ist, (unrichtigerweise) einen höheren Gegenstandswert zu begründen.

c. Ein weiteres Indiz für rechtsmissbräuchliches Vorgehen stellt der Umstand dar, dass die Klägerin bei Gericht mehrere relevante Dokumente weder mit der Klage-, noch mit der Antragsschrift im Einstweiligen Verfügungsverfahren vorgelegt hat, nämlich die von ihr vorformulierte und den Beklagten mit dem Abmahnschreiben als zwingend unterbreitete Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung und die Erwiderung der Beklagten vom 22.06.2018 auf die Abmahnung der Klägerin zu Händen ihres Rechtsvertreters am selben Tag per email zugegangen. Dadurch hat sie gegenüber dem Gericht den aufgezeigten unberechtigten Inhalt der Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung verschleiert und zudem den falschen Eindruck erweckt, die Beklagten hätten auf ihre Abmahnung nicht reagiert. Dadurch hat sie das angerufene Gericht veranlasst, das Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu verkürzen, denn wegen des zwingend der Gegenseite einzuräumenden rechtlichen Gehörs wäre die von der Klägerin mit dem Antrag auf Einstweilige Verfügung begehrte Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nur zulässig gewesen, wenn die vorgerichtliche Erwiderung des Gegners zu dem inkriminierten Sachverhalt dem Gericht vollständig vorgelegen hätte (BVerfG, Kammerbeschluss vom 03.06.2020 - 1 BvR 1246/20; Kammerbeschluss vom 30.09.2018 - 1 BvR 1783/17, Rn 16).

d. Weiter hat die Klägerin die Entscheidung des Landgerichts über den Erlass einer Beschlussverfügung durch unzutreffende Angaben unredlich beeinflusst. Sie hat behauptet, die Beklagten seien ihr unbekannt, obwohl sie, wie sie dann im Verlauf des Klageverfahrens eingeräumt hat, in dem Zeitraum 2014 bis 2017 mehrfach bei ihr Bestellungen getätigt hatte. Diese unrichtige Sachdarstellung hat sie zunächst aber auch noch im Klageverfahren wiederholt.

e. Im Klageverfahren hat sie zudem - die Rechte der Beklagten weiter beeinträchtigend - die Rechtsanwälte, die sich bereits im Verfahren auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung als Prozessbevollmächtigten für die Beklagten bestellt hatten, nicht als Prozessvertreter benannt.

f. In dem Verfahren auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung hat die Klägerin schließlich mit Herrn M... B... einen unbeteiligten Dritten als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) in Anspruch genommen, obwohl sich aus dem Telefax, das Gegenstand des Verfahrens war, gut leserlich der Name des hiesigen Beklagten zu 2) als Geschäftsführer ergab. Nach Zustellung der Beschlussverfügung hat die Klägerin sodann zur Abgabe einer Abschlusserklärung aufgefordert, und zwar neben der Beklagten zu 1) nunmehr als Geschäftsführer den hiesigen Beklagten zu 2), aber auch Herrn M... B.... Diesen hat sie, nachdem sie ihn im Einstweiligen Verfügungsverfahren fälschlich als Geschäftsführer in Anspruch genommen und diesen Irrtum dann offenbar erkannt hatte, zur Abgabe der Abschlusserklärung mit der - wiederum unrichtigen - Begründung aufgefordert, er sei "Unterzeichner des Werbefaxes" vom 12.06.2018, tatsächlich weist dieses aber, wie die zur Akte gereichte Kopie zeigt, eine Unterschrift nicht auf. Die nachhaltige Inanspruchnahme eines dritten Unterwerfungsschuldners lässt sich wiederum nur mit einem sachfremden Kostenbelastungsinteresse erklären.

3) Aufgrund der Gesamtwürdigung aller dargelegten Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin mit ihrem Vorgehen gegen die Beklagten vordringlich das Ziel verfolgt hat, Zahlungsansprüche zu ihren eigenen Gunsten bzw. denen ihres Prozessbevollmächtigten auf Kosten der Beklagten zu begründen. Dieses Interesse ist nicht schutzwürdig, denn es steht mit der Abwehr unerwünschter Werbung nicht in Zusammenhang. Das durch sachfremde Motive bestimmte Vorgehen der Klägerin gegen die Beklagten ist deshalb als rechtsmissbräuchlich zu bewerten, ohne dass es noch darauf ankommt, ob die hohe Zahl der von der Klägerin initiierten gerichtlichen Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) und bei weiteren Gerichten, z.B. dem Amtsgericht Fürstenwalde/Spree, ein Indiz dafür bilden, dass die Klägerin ihre formal bestehende Rechtsposition auch generell rechtsmissbräuchlich ausnutzt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 04.07.2019 - I ZR 149/18).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

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