Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 11.11.20, 4 W 50/20 - Eilverfahren gegen Kontosperrung auf Online-Verkaufsplattform

entscheidungen

Begehrt ein Unternehmen die Freischaltung seines Verkäuferkontos auf einer Online-Handelsplattform in einem Eilverfahren, so muss es eine Existensgefährdung durch die Sperrung glaubhaft machen. Es reicht nicht, dass lediglich erhebliche wirtschaftliche Nachteile geltend gemacht werden, da ansonsten eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen würde. Verbleiben dem Unternehmen weitere Vertriebskanäle, zum Beispiel ein eigener Online-Shop, so spricht das gegen eine Existenzgefährdung bei einer Sperrung des Verkäuferkontos.

Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschl. v. 11.11.20, 4 W 50/20
Streitwert: 10.000,00 €

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 29. Oktober 2020, Az. 2 O 297/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Antragstellerin verlangt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, das von ihr genutzte Verkäuferkonto »...« für den Handel auf der eBay-Plattform wieder freizuschalten.

Die Antragstellerin betreibt einen Handel mit Büchern und anderen Druckerzeugnissen. Dafür nutzte sie auch die Internet-Plattform der Antragsgegnerin mit dem Verkäuferkonto »...«. Am 6. Oktober 2020 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass ein von ihr eingestelltes Angebot gegen den „Grundsatz zu Repliken und Fälschungen" verstoße. Am 12. Oktober 2020 sperrte die Antragsgegnerin das Verkäuferkonto der Antragstellerin unter Hinweis auf weitere „Verstöße gegen den Grundsatz zu Repliken und Fälschungen".

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich vorgebracht, dass sie weder Repliken noch Fälschungen angeboten habe und daher auch kein Grund zur Sperrung des Verkäuferkontos bestehe. Aus den Mitteilungen der Antragsgegnerin werde zudem nicht deutlich, worin der vermeintliche Verstoß der Antragstellerin überhaupt gesehen werde. Mehrere Nachfragen bei der Antragsgegnerin seien dazu ergebnislos geblieben. Den daraus folgenden Anspruch auf Freischaltung des Verkäuferkontos könne sie im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend machen, da sie durch die Sperrung größte wirtschaftliche Nachteile erleide. So habe sie im Jahr 2019 einen Jahresumsatz über den eBay- Verkauf in Höhe von 300.000 € erzielt. Insgesamt habe sie seit Beginn ihrer Verkäufe bei der Antragsgegnerin im Jahr 2005 auf deren Internetmarktplatz einen Umsatz von etwa 14.000.000 € erzielt.

Unter dem 27. Oktober 2020 hat die Antragstellerin im Wege einstweiliger Verfügung vor dem Landgericht Potsdam beantragt,

der Antragsgegnerin aufzugeben, die Antragstellerin mit dem Mitgliedsnamen »...« für den Handel auf der Ebay-Plattforn freizuschalten.

Das Landgericht Potsdam hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss vom 29. Oktober 2020 (BI. 19 f.d.A.) zurückgewiesen. Der Antrag nehme im Eilverfahren unzulässigerweise die Hauptsache vorweg. Es sei nicht dargelegt, dass der Antragstellerin durch die Verweisunug auf ein Hauptsachverfahren ein existenzbedrohender irreparabler Schaden drohe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 30. Oktober 2020 bei dem Landgericht Potsdam eingegangene (BI. 27 d.A.) Beschwerde (BI. 28 ff. d.A.) der Antragstellerin. Sie beantragt weiterhin den Erlass der erstinstanzlich begehrten einstweiligen Verfügung,

Die Antragstellerin führt unter teilweiser Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags ergänzend aus, dass es sich bei ihrem Antrag nicht um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache handele. Die Interessen der Antragstellerin seien angesichts der hohen Bedeutung des Internetmarktplatzes eBay für ihr Geschäft sehr hoch zu gewichten. Dagegen seien die Interessen der Antragsgegnerin angesichts der nicht erkennbaren Gründe für die Kontosperrung niedrig zu gewichten, zumal eine vorläufige Freischaltung des Verkäuferkontos ohne jede Schwierigkeit möglich sei.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 4. November 2020 nicht abgeholfen und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur weiteren Entscheidung vorgelegt (BI. 32 f. d.A.). Dabei hat das Landgericht ergänzend darauf Bezug genommen, dass die Antragstellerin eine eigene Website zum Vertrieb von Büchern und Druckerzeugnissen betreibe und diese in ihrer Antragsschrift nicht benannt habe. Schon angesichts dieser anderweitigen Verkaufsmöglichkeit der Antragstellerin neben dem Verkauf über eBay könne der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderliche existenzbedrohende, irreparable Schaden nicht angenommen werden.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 29. Oktober, mit dem der Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt worden ist, ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 935, 937 Abs. 2, 940 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg.

1 .

Ein Erlass der vorliegend auf Leistung gerichteten Verfügung würde zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen.

Die Hauptsache darf durch eine einstweilige Verfügung nur unter besonderen, engen Voraussetzungen vorweggenommen werden (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2019 — I ZB 19/19 —, Rn. 21, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 12. Juni 2002 — 1 U 6/02 —, Rn. 23, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. Dezember 2009 — Kart W 13/09 Rn. 15, juris). Dabei müssen die ohne Erlass eines Titels drohenden Nachteile nicht nur schwer wiegen, sondern darüber hinaus außer Verhältnis zu den dem Schuldner drohenden Schäden stehen (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - I ZB 96/16 - Rn. 35, juris). Daher kann die einstweilige Verfügung in Bezug auf einen Hauptsacheanspruch regelmäßig nur in den Fällen einer existentiellen, irreparablen Schädigung der Antragstellerin ergehen (OLG Frankfurt, Urteil vom 09. Februar 1995 — 26 U 78/94 —, Rn. 6, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 29. November 1991 -26 W 15/91 - Rn. 5, juris).

Für die Feststellung, ob Rahmen der durch § 938 Abs. 1 ZPO gebotenen Ermessensentscheidung der Erlass einer Leistungsverfügung geboten ist, sind die berechtigten Interessen von Antragsteller und Antragsgegner gegeneinander abzuwägen (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 12. November 2008 - 6 W 183/08, juris). Es genügt nicht, dass ohne den Erlass der beantragten Verfügung die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder dass das Anliegen des Antragstellers darauf gerichtet ist, wesentliche Nachteile abzuwenden, da diese Tatbestandsvoraussetzungen bereits in den §§ 935, 940 ZPO für den Erlass einer vorläufigen Regelung aufgestellt sind. Vielmehr muss der Gläubiger so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruches angewiesen sein oder müssen ihm so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass ihm ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar ist. Bei wirtschaftlichen Nachteilen ist insoweit erforderlich, dass der Gläubiger anderenfalls in eine existentielle Notlage geriete (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 27. September 2018 — 17 Kart 5/18 —, Rn. 9, juris; siehe auch: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 12. November 2008 — 6 W 183/08 -, Rn. 7, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. Dezember 2015 — 5 W 35/15 —, Rn. 40, juris; OLG Köln, Beschluss vom 20. Dezember 201 1 — 13 W 79/1 1 —, Rn. 5, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. Januar 2008 — VI-U (Kart) 23/07 —, Rn. 10, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. Februar 2004 19 U 240/03 Rn. 4, juris; OLG Naumburg, Urteil vom 1 1. August 2011 -2 U 84/1 1 Rn. 60, juris; G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, S 940 ZPO, Rn. 6).

Es fehlt vorliegend schon an der erforderlichen Glaubhaftmachung, dass der Antragstellerin infolge der Sperrung ihres Verkäuferkontos bei dem von der Antragsgegnerin unterhaltenen Marktplatz eine existentielle Notlage droht. Zwar hat die Antragstellerin durch eidesststattliche Versicherung ihres Geschäftsführers glaubhaft gemacht, dass sie auf dem Marktplatz der Antragsgegnerin im Jahr 2019 einen Umsatz von 300.000 € und seit dem Jahr 2005 einen solchen von 14.000.000 € erzielt hat. Diese Umsätze lassen jedoch keinen Rückschluss darauf zu, ob die Sperrung des Verkäuferkontos zu einer existentiellen Notlage führt. Dabei kann offenbleiben, ob und in welchem Umfang die Antragstellerin weitere Internet-Markplätze bereits nutzt beziehungsweise zukünftig nutzen kann, um die Umsatzausfälle zu verringern. Denn die Antragstellerin verfügt ausweislich des landgerichtlichen Nichtabhilfebeschlusses über einen eigenen Onlineshop für ihre Produkte.

Da die Antragstellerin, wovon sich auch der Senat überzeugt hat, auf diesem eigenen Onlineshop unter www.....de Handel mit ihren Produkten betreibt, kann allein aus dem Umsatzrückgang durch Sperrung des Verkäuferkontos bei eBay noch nicht auf eine existentielle Notlage geschlossen werden, weil die Antragstellerin jedenfalls auch aus ihrem eigenen Onlineshop Einnahmen erwirtschaftet. Dass der Handel auf diesem Onlineshop auch tatsächlich stattfindet, zeigen nicht nur die auf der Internetseite als Referenz angeführten zusammengefassten Bewertungen von mehreren tausend Kunden, sondern auch Auszeichnungen durch mehrere Tages- bzw. Wochenzeitungen für den Onlineshop www.....de.

Auch im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin keine existenzielle Notlage. Der Geschäftsführer der Antragstellerin hat zu den Auswirkungen der Sperrung eidesstattlich lediglich versichert, dass die Nutzung des Verkäuferkontos bei eBay für die Antragstellerin „wirtschaftlich von größter Bedeutung [sei], weshalb die Kontosperrung sie besonders hart getroffen hat." Daraus lässt sich nicht schließen, ob die Kontosperrung zu einer Existenzgefährdung oder lediglich zu - auch schmerzhaften - Umsatzeinbußen führt.

Es sind auch sonst keine Umstände vorgetragen oder erkennbar, die im Einzelfall dennoch den Erlass einer Leistungsverfügung erfordern könnten. Soweit die Antragstellerin über die Sperrung ihres Kontos hinaus dessen Löschung samt der dazugehörigen 540.000 positiven Bewertungen befürchtet, ist auch insoweit nicht ersichtlich, dass ihr ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht zumutbar wäre. Es kann auch offenbleiben, ob bei offensichtlicher Begründetheit des Verfügungsanspruchs der Erlass einer Leistungsverfügung unter weniger strengen Voraussetzungen in Betracht gezogen werden kann. Denn in der Mitteilung der Antragstellerin vom 12. Oktober 2020 werden mindestens 15 von der Antragstellerin angebotene Artikel ausdrücklich benannt, die gegen die „Grundsätze zu Repliken und Fälschungen" verstoßen sollen. Damit ist die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Sperre des Verkaufskontos »...« zumindest einzelfallbezogen begründet worden.

Insgesamt ist weder isoliert noch in der erforderlichen Gesamtabwägung der Erlass einer die Hauptsache vorwegnehmenden Leistungsverfügung zulässig. Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob im Übrigen die Voraussetzungen des Verfügungsanspruchs erfüllt sind.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der festgesetzte Beschwerdewert entspricht der nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Festsetzung des Gegenstandswerts.

3.

Eine Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst (§§ 574 Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 ZPO).