VerwG Münster, Urt. v. 26.09.08, 7 K 1473/07 - Gebührenpflicht für Internetrechner

Wer einen internetfähigen Computer besitzt, muss allein deshalb noch keine Rundfunkgebühren zahlen. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächliche Nutzung eines internetfähigen PCs zum Rundfunkempfang trifft die Rundfunkanstalten.


nrw

VERWALTUNGSGERICHT MÜNSTER
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Aktenzeichen: 7 K 1473/07
Entscheidung vom 26. September 2008

 

[...]

Der Bescheid des Beklagten vom 1. Juli 2007 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wird beim Beklagten unter der Teilnehmernummer [...] mit einem so genannten neuartigen Rundfunkempfangsgerät geführt.

Durch Gebührenbescheid vom 1. Juli 2007 wurden Rundfunkgebühren für ein neuartiges Rundfunkempfangsgerät für den Zeitraum von Januar 2007 bis März 2007 in Höhe von 16,56 EUR festgesetzt und ein Säumniszuschlag in Höhe von 5,- EUR erhoben.

Mit dem dagegen unter dem 10. Juli 2007 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend: Er halte die Bestimmungen für neuartige Rundfunkempfangsgeräte für verfassungswidrig. Aus der Tatsache einer fast universellen Nutzbarkeit elektronischer Geräte wie einem Personalcomputer könne keine allgemeine Rundfunkgebührenpflicht abgeleitet werden, nur weil mit diesen Geräten theoretisch auch ein Rundfunkempfang möglich sei. Vor dem Zugang des Gebührenbescheides habe seitens des Beklagten kein Rechtsanspruch auf Zahlung bestanden, deswegen bestehe auch kein Anspruch auf den Säumniszuschlag.

Mit Schreiben vom 1. August 2007 teilte die Gebühreneinzugszentrale dem Kläger mit: Eine Verfassungswidrigkeit der Regelung zu den neuartigen Rundfunkempfangsgeräten sei nicht erkennbar. Ein Ruhenlassen des Verfahrens oder ein Verzicht auf die Erhebung von Rundfunkgebühren für neuartige Rundfunkempfangsgeräte oder deren Beitreibung werde abgelehnt.

Am [...] hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung nimmt er Bezug auf sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

den Gebührenbescheid des Beklagten vom 1. Juli 2007 sowie den Widerspruchsbescheid vom 1. August 2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung macht er geltend: Der Kläger sei für ein neuartiges Rundfunkempfangsgerät rundfunkgebührenpflichtig. Die Gebührenpflicht knüpfe an das Bereithalten eines Gerätes, das den Empfang von Rundfunkprogrammen ermögliche. Mit internetfähigen Computern ließen sich z.B. Hörfunkprogramme und auch bestimmte Fernsehprogramme ohne weiteres empfangen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO-).

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger dürfte das gemäß den §§ 68f f VwGO erforderliche Vorverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt haben. Dem auf seinen fristgemäß erhobenen Widerspruch ergangenen Schreiben der Gebühreneinzugszentrale ist nicht die Qualität eines Widerspruchsbescheides beizumessen. Die Klage ist gleichwohl zulässig. Das Bundesverwaltungsgericht hält in ständiger Rechtsprechung aus Gründen der Prozessökonomie und in Einklang mit dem Regelungszweck des § 68 VwGO über die gesetzlich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus ein Vorverfahren regelmäßig für entbehrlich, wenn sich der Beklagte auf die Klage sachlich eingelassen und deren Abweisung beantragt hat; entscheidend ist, ob dem Zweck des Vorverfahrens Rechnung getragen ist. Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), u.a. Urteile vom 15. Januar 1982 - 4 C 26.78 -, NJW 1982, 1546 (1547) und vom 4. August 1993 - 11 C 15.92 -, NVwZ 1995, 76 (77).

Gemessen hieran ist der Erlass des das Vorverfahren abschließenden Widerspruchsbescheides entbehrlich. Der Beklagte hat sich sachlich auf die Klage eingelassen und deren Abweisung beantragt. Er hat als für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständige Behörde mit der Einlassung zugleich auch den Standpunkt der Widerspruchsbehörde wiedergegeben. Dem Zweck des Vorverfahrens ist damit Genüge getan.

Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 1. Juli 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Kläger ist nicht für ein neuartiges Rundfunkempfangsgerät rundfunkgebührenpflichtig.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RGebStV) hat jeder Rundfunkteilnehmer vorbehaltlich der Regelungen der §§ 5 und 6 RGebStV für jedes von ihm zum Empfang bereitgehaltene Rundfunkempfangsgerät eine Grundgebühr und für das Bereithalten jedes Fernsehgerätes jeweils zusätzlich eine Fernsehgebühr zu entrichten. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Der Kläger ist nicht Rundfunkteilnehmer. Es kann dahinstehen, ob der internetfähige Personalcomputer (PC) des Klägers als (neuartiges) Rundfunkempfangsgerät zu qualifizieren ist; jedenfalls hält er dieses nicht zum Empfang bereit.

Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV wird ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereitgehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen, unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangbaren Programme, unverschlüsselt oder verschlüsselt, empfangen werden können. Der Tatbestand des Bereithaltens knüpft grundsätzlich nicht an die konkrete Nutzung als Empfangsgerät an, es bedarf auch keines Empfangswillens. Es reicht die Geeignetheit des Gerätes zum Empfang. Zudem kommt es nach der Definition in § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV auch nicht auf die Art, den Umfang und die Anzahl der empfangbaren Programme an, schon die Möglichkeit der Nutzung zum Rundfunkempfang stellt einen rechtserheblichen Vorteil dar. Vgl. hierzu insgesamt, Beck´scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Auflage, § 1 RGebStV, Rdnrn. 38, 40, 41 m. N.

Diese Definition und deren Auslegung ist mit Blick auf die herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräte regelmäßig gerechtfertigt. Denn der schlichte Besitz eines solchen monofunktionalen Rundfunkempfangsgerätes lässt das Bereithalten zum Empfang schon deshalb vermuten, weil eine andere Zweckverwendung in der Regel ausgeschlossen ist. Den an sich getrennten Tatbestandsmerkmalen des »Bereithaltens« und »zum Empfang« in § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV kommt deswegen bei herkömmlichen Geräten keine jeweils eigenständige Bedeutung zu.

Anders verhält sich dies bei neuartigen multifunktionalen Geräten. Inzwischen könnte u.a. auch mit Notebooks, UMTS-Handys, WLAN-Handys oder PDAs- und MDAs-Smartphones, internetfähigen Navigationssystemen, sogar mit internetfähigen Kühlschränken Rundfunk empfangen werden. Da aber bei derartigen Geräten ein Bereithalten zu vielen anderen Zwecken als (nur) zum Empfang von Rundfunk möglich ist, kann aus dem bloßen Besitz dieser multifunktionalen Empfangsgeräte nicht mehr automatisch auch auf ein Bereithalten zum Rundfunkempfang geschlossen werden.

Ein rundfunkgebührenrechtlich relevantes Bereithalten ist nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), vgl. Urteil vom 2. März 2007 - 19 A 378/06 -, Juris, dann jedenfalls nicht gegeben, wenn der Eigentümer oder Besitzer bei ihm vorhandene (herkömmliche) Rundfunkempfangsgeräte typischerweise nicht zum Empfang nutzt. Das widerspreche dem Grundsatz der Gebührengerechtigkeit, wenn in den Fällen der tatsächlich fehlenden Nutzung ausschließlich auf die Möglichkeit des Empfangs abgestellt werde. Denn andernfalls werde der Eigentümer oder Besitzer solcher Geräte nur aufgrund des Besitzes von Rundfunkempfangsgeräten mit einer Rundfunkgebühr belastet, die dann eine bloße Besitzabgabe darstellte.

Vergleichbares gilt für den internetfähigen PC des Klägers. Nach Sinn und Zweck der rundfunkgebührenrechtlichen Vorschriften ist das Abstellen auf die (bloße) Möglichkeit der Nutzung eines Rundfunkempfangsgerätes zum Empfang in den Fällen nicht gerechtfertigt, in denen die § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zugrunde liegende typisierende Annahme, ein vorhandenes Rundfunkempfangsgerät werde auch tatsächlich zum Empfang genutzt, regelmäßig nicht zutrifft. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. März 2007, a.a.O..

Diese typisierende Annahme trifft auch hier nicht zu. Der internetfähige PC wird in Deutschland typischerweise (noch) nicht als Rundfunkempfangsgerät genutzt.

Ein PC-Besitzer - wie der Kläger - hat grundsätzlich die Möglichkeit der Nutzung des Rundfunks, der internetfähige PC wird jedoch regelmäßig für andere Zwecke als den Rundfunkempfang genutzt. In der Regel erfolgt eine Nutzung für Zwecke der Textverarbeitung, zur Informationsverarbeitung und -verschaffung, für telekommunikative Anwendungen, Internetdienstleistungen, als Datenbank, auch für Tabellenkalkulationen, zum Programmieren sowie zunehmend für den gesamten Multimediabereich. Typischerweise werden bspw. in Behörden - wie das Gericht aus eigener Sachkunde weiß -, Unternehmen, aber auch in heimischen Arbeitszimmern vorhandene internetfähige PCs für oben aufgeführte Zwecke und gerade nicht für den Rundfunkempfang genutzt.

Vgl. hierzu auch Verwaltungsgericht (VG) Koblenz, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 K 496/08.KO, Juris, wonach ein internetfähiger PC in einer Anwaltskanzlei typischerweise in vielfacher Weise, aber nicht zum Rundfunkempfang genutzt werde und deshalb nicht gebührenpflichtig sei.
Auch über diese genannten Fälle hinaus wird der internetfähige PC (noch) nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise für den Rundfunkempfang genutzt. Dies belegt die so genannte ARD/ZDF-Online-Studie 2007, die seit 1997 jährlich durchgeführt wird. Danach nutzten im Jahr 2007 rund 1,4 Millionen täglich das Netzradio - dies entspreche einem Anteil von 3,4 Prozent an allen „Onlinern" und 2,1 Prozent bezogen auf die Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre. Der Anteil der täglichen Live-Radiohörer im Web sei im Vergleich zu den 50,2 Millionen Hörern über traditionelle Empfangswege relativ gering. Vgl. hierzu van Eimeren und Frees, ARD/ZDF-Online- Studie 2007, „Internetnutzung zwischen Pragmatismus und YouTube-Euphorie", MP 8/2007, 362 (372) und auch van Eimeren und Frees, ARD/ZDF-Online-Studie 2008, „Internetverbreitung: Größter Zuwachs bei Silver-Surfern", MP 2008, 330 (339), wonach es beim Audioabruf im Netz im Vergleich zum Vorjahr wenig Veränderungen gegeben habe.

Ist nach den Feststellungen dieser Studie schon der Anteil der gesamten täglichen Internethörerschaft im Vergleich zur gesamten Hörerschaft relativ gering, ist folglich der darin enthaltene Anteil derjenigen, die Internetradio mit Hilfe eines internetfähigen PCs empfangen, noch geringer.

Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächliche Nutzung eines internetfähigen PCs zum Rundfunkempfang trifft den Beklagten. Die Nutzung des internetfähigen PCs als Rundfunkempfangsgerät ist (noch) die Ausnahme; die ansonsten grundsätzlich schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigte verallgemeinernde und typisierende Anknüpfung der Gebührenpflicht an die durch ein Bereithalten eines Empfangsgeräts verschaffte bloße Nutzungsmöglichkeit zum Rundfunkempfang kann deshalb im Falle eines internetfähigen PCs (noch) nicht greifen. Der Beklagte ist vielmehr (noch) darauf verwiesen, die tatsächliche Nutzung eines internetfähigen PCs zum Zwecke des Radioempfangs im Einzelfall nachzuweisen.

Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Kläger seinen internetfähigen PC tatsächlich zum Rundfunkempfang nutzt. Vielmehr hat er den Standpunkt vertreten, es reiche allein die Nutzungsmöglichkeit des internetfähigen PCs für den Rundfunkempfang. Den Angaben des Klägers, er nutze seinen PC nicht zum Rundfunkempfang, ist der Beklagte nicht entgegengetreten.

Die Kammer verkennt nicht, dass der dem Beklagten obliegende Nachweis der tatsächlichen Nutzung in der Praxis schwierig zu führen ist. Die Schwierigkeiten der Nachweisführung liegen aber ausschließlich im Rundfunkgebührenstaatsvertrag begründet. Solange dieser an der gerätebezogenen Gebührenpflicht festhält, ohne den neueren technischen Entwicklungen erkennbar Rechnung zu tragen, ist die von der Kammer vorgenommene einschränkende Auslegung des § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV geboten, weil die Rundfunkgebühr anderenfalls eine unzulässige Besitzabgabe für internetfähige PCs darstellte.

Die Voraussetzungen für die Festsetzung des Säumniszuschlages sind wegen der fehlende Rundfunkgebührenpflicht des Klägers ebenfalls nicht erfüllt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -. Die Zulassung der Berufung beruht auf den §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

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