VG Arnsberg, Urt. v. 6.12.02, 13 L 1848/02 - Sperrungsverfügung I

Ordnet die Behörde die Vollziehung einer Sperrungsverfügung gem. § 18 MDStV an, wird die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die Verfügung nicht wiederhergestellt. Einer Anhörung des Betroffenen bedarf es vor dem Erlass der Vollziehungsanordnung nicht. Das Interesse eines Access-Providers einstweilen die Schaltung zu zwei Internetseiten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vermitteln zu können, tritt hinter die öffentlichen Interessen an einer sofortigen Sperrung der Seiten bis zum Abschluss des Verfahrens zurück.

nrw

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

wegen

einer Sperrungsverfügung nach dem Mediendienste-Staatsvertrag;

hier: Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes

hat die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts Arnsberg am 6. Dezember 2002 durch Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht [...], Richter am Verwaltungsgericht [...], Richter [...] b e s c h l o s s e n:

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

G r ü n d e

Der Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Sperrungsverfügung der Antragsgegnerin vom 6. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2002 wiederherzustellen, ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig, denn die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung ihrer Sperrungsverfügung besonders angeordnet. In diesen Fällen kann das Gericht den zuvor nach § 80 Abs. 1 VwGO eingetretenen Suspensiveffekt wiederherstellen.

In der Sache hat der Antrag aber keinen Erfolg.

Zunächst unterliegt die Vollziehungsanordnung der Behörde nicht der Aufhebung, weil sie formell oder materiell echtswidrig wäre.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bedarf es keiner Anhörung des Betroffenen im Sinne des § 28 Abs. 1 VwVfG NRW, bevor eine Vollziehungsanordnung erlassen wird. Das gilt auch für den Fall, dass die Anordnung nicht mit dem Verwaltungsakt verbunden wird. Die Anordnung stellt keinen Verwaltungsakt dar, für den das Verfahrensrecht, namentlich § 28 VwVfG NRW, formelle Regeln aufgestellt hat. Denn es fehlt an einer materiellen Regelung eines Einzelfalls. Diese ist ausschließlich in dem Verwaltungsakt enthalten. Die Vollziehungsanordnung hat keine weitere materielle Funktion sondern bestimmt als bloßer Annex die Modalitäten der Durchsetzung des Verwaltungsaktes. Für eine entsprechende Anwendung der Verfahrensregeln ist mangels Regelungslücke kein Raum. Die Vollziehungsanordnung steht nicht, wie der Verwaltungsakt, als Ergebnis am Ende des Verwaltungsver-
fahrens (vgl. § 9 VwVfG NRW). Dort, wo es an einem Verfahren fehlt, bedarf es auch keiner Verfahrensregeln. 

Gründe des rechtlichen Gehörs gebieten keine andere Entscheidung, denn spätestens im gerichtlichen Verfahren hat der Betroffene Gelegenheit, erschöpfend vorzutragen. Vgl. dazu: OVG NRW, Beschluss vom 1. Juli 1994 - 11 B 620/94 -, BauR 1995, 69; OVG Berlin, Beschluss vom 13. Juli 1992 - 6 S 72/92 -, NVwZ 1993, 198; Püttler in Sodan/Ziekow, NOMOS-Komm. zur VwGO § 80 RdNr. 83 mwN; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Komm zur VwGO § 80 RdNr. 182; aA: Redeker/von Oertzen, Komm. zur VwGO § 80 RdNr. 27 mwN für die dort vertretene Auffassung.
Allerdings ist vom Gericht zu prüfen, ob die Behörde das besondere Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes begründet hat (vgl. insoweit § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Ob die Begründung aus gerichtlicher Sicht zutreffend ist, hat das Gericht nicht zu prüfen, weil es eine eigenständige Interessenabwägung im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO vornimmt. Die behördliche Begründung hat nur den Sinn, dem Betroffenen mitzuteilen, welche Gründe für die Behörde maßgeblich gewesen sind, die Vollziehung anzuordnen. Dem ist Genüge getan, wenn die Begründung die Entscheidung zu tragen in der Lage ist. Das ist hier zweifelsfrei der Fall. Die vom Gericht vorzunehmende (eigenständige) Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Sie beruht zunächst auf einer Erfolgsbewertung des Rechtsmittels: Ein Antrag, der die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels zum Ziel hat, ist regelmäßig begründet, wenn der angefochtene Verwaltungs-
akt offensichtlich rechtswidrig ist. Ist hingegen die angefochtene Verwaltungsentscheidung offensichtlich rechtmäßig, hat der Aussetzungsantrag keinen Erfolg.

Im vorliegenden Falle läßt sich eine solche Aussage über offensichtliche Rechtmäßigkeit oder offensichtliche Rechtswidrigkeit der Sperrungsverfügung nicht treffen. Das belegt schon der umfangreiche Vortrag der Beteiligten im Hauptsacheverfahren und die Vielzahl der zu entscheidenden Rechtsfragen. Der Charakter eines auf vorläufige Regelung gerichteten Verfahrens mit der damit zusammen hängenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage verbietet aber eine umfangreiche, ins Detail gehende Würdigung der Rechtslage und die Entscheidung grundlegender Rechtsfragen.

Maßgeblich für den Erfolg dieses Verfahrens ist mithin eine von den Erfolgsaussichten des Verfahrens unabhängige Abwägung der gegenseitigen Interessen. Diese fällt zu Ungunsten der Antragstellerin aus. Ihr Interesse daran, als Access-Provider einstweilen die Schaltung zu den umstrittenen zwei Internetseiten bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vermitteln zu können, tritt hinter die öffentlichen Interessen an einer sofortigen Sperrung der Seiten bis zum Abschluss des Verfahrens zurück.

Das Interesse der Öffentlichkeit besteht hier greifbar darin, von Volksverhetzung im Internet verschont zu bleiben. Dieses Interesse wird im Übrigen von der Antragstellerin nicht ernsthaft bestritten und bedarf auch keiner weiteren Darlegung. Außerdem kann insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin in dem umstrittenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid Bezug genommen werden. Diesen Interessen wird - wenn auch in geringem Umfange - durch eine Sperrung der Seiten durch den Access-Provider Genüge getan. Es besteht keinerlei Anlass, den strafbaren Umtrieben im Internet ihren Lauf zu lassen und angesichts der zahlreichen Umgehungsmöglichkeiten sowie der Anonymität bzw. der Nichtgreifbarkeit der Urheber die Hände in den Schoß zu legen. Dem gegenüber sind schützenswerte Interessen der Antragstellerin, einstweilen von einer Sperrung jener Seiten verschont zu bleiben, nicht erkennbar. Der dazu erforderliche tatsächliche Aufwand ist unmaßgeblich, zumal die Antragstellerin die Sperrung nach den Informationen des Gerichts bereits vorgenommen hat. Dieser Umstand beantwortet auch die Frage nach der technischen Durchführbarkeit von selbst. Die Sperrung weiterer Seiten (mit einem dann möglicherweise eintretenden maßgeblichem Aufwand) ist augenblicklich - vor Beendigung der derzeit anhängigen Klageverfahren - nicht zu erwarten. Allenfalls ist - wenn auch fernliegend - mit der vagen Möglichkeit zu rechnen, dass sich Kunden der Antragstellerin einem anderen Provider anschließen, um die von der Antragstellerin gesperrten volksverhetzenden Seiten schneller und problemloser aufrufen zu können. Insoweit könnte mittelbar ein wirtschaftlicher Schaden zu besorgen sein. Unsere Rechtsordnung schützt indessen keine wirtschaftlichen Interessen, die mittelbar betroffen sind, wenn durch Volksverhetzung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung - durch wen und von welchem Ort aus auch immer - verstoßen wird. Solche Interessen sind nicht schützenswert. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht hält angesichts des vorläufigen Charakters des
Verfahrens die Festsetzung des Streitwerts auf die Hälfte des Ersatzstreitwertes für angemessen (vgl. § 25 Abs. 2, §20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG).

Rechtsmittelbelehrung

Gegen die Entscheidung mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg, Postanschrift: Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818 Arnsberg) Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht eingelegt werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Sofern die Begründung nicht mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, ist sie bei dem Ververwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster; Postanschrift: Postfach 6309, 48033 Münster) einzureichen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten und die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuhe-
ben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Bei der Einlegung der Beschwerde und vor dem Oberverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.
Gegen die Streitwertfestsetzung können die Beteiligten schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht Arnsberg (Jägerstraße 1, 59821 Arnsberg, Postanschrift: Verwaltungsgericht Arnsberg, 59818 Arnsberg) Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht entscheidet, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft. Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdege-
genstandes 50 EUR nicht überschreitet.Der Beschwerdeschrift und der Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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