LG Berlin, Urt. v. 21.05.96, 16 O 171/96 - Stellenmarkt

Wer im Internet einen »Stellenmarkt« anbietet, darf sein Online-Angebot nicht durch unbezahlte Anzeigen ergänzen, die zuvor in Tageszeitungen erschienen sind. Ein solches »getürktes« Angebot täuscht nicht nur über die wahre Bedeutung des Stellenmarktes sondern verletzt auch die Rechte der Tageszeitung, die im Rahmen der Akquisition neuer Anzeigenkunden nicht unerhebliche Aufwendungen tätigen muß.

 

berlin 

LANDGERICHT BERLIN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Aktenzeichen: 16 O 171/96
Entscheidung vom 21. Mai 1996

 

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

[...]

hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin, Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 21. Mai 1996 durch die Richterin am Landgericht Hengst, den Richter am Landgericht Horstkotte und den Richter Scholz

für Recht erkannt:

1. Die einstweilige Verfügung vom 25. April 1996 wird bestätigt.

2. Die Antragsgegner haben die weiteren Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.

Tatbestand

Die Antragstellerin verlegt unter anderem die Tageszeitung B., die über umfangreiche Anzeigenrubriken verfügt, unter denen wiederum der Stellenmarkt herausragende Bedeutung hat.

Die Antragsgegner verbreiten über den von der Deutschen Telekom AG errichteten Computernetzdienst »T-Online« einen »Jobstar« genannten Stellenmarkt mit derzeit ungefähr 1.800 Angeboten und Gesuchen. Die Nutzer können die gespeicherten Anzeigen gegen ein Entgelt abrufen und auch selbst Anzeigen aufgeben. Der Dienst ist jedenfalls im Raum Mannheim-Heidelberg-Karlsruhe sowie gegen ein höheres Entgelt auch im Raum Berlin abrufbar.

Die von den Antragsgegnern »online« verbreiteten Stellenanzeigen beruhen mindestens zur Hälfte auf ausgewählten Stellenanzeigen großer Tageszeitungen. Diese haben die Antragsgegener nicht in wörtlich und grafisch identischer Form übernommen, sondern - entsprechend den als Anlage AS 1 vorgelegten Anzeigenausdrucken - in sprachlich mittels Abkürzungen zusammengefaßter Form unter Angabe der jeweiligen Fundstelle in das Netz eingespeist. Ungefähr 300 der gespeicherten Anzeigen liegen entsprechende, zuvor veröffentlichte Annoncen der B. zugrunde. Hierzu hat die Antragstellerin als Anlagenkonvolut AS 3 einige Anzeigen aus der B. und die Ausdrucke der entsprechenden Anzeigen im Online-Dienst vorgelegt.

Mit dem als Anlage AS 4 in Kopie vorgelegten Schreiben vom 16. April 1996 mahnte die Antragstellerin die Antragsgegner ab und forderte sie vergeblich zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.

Das Landgericht Berlin hat auf Antrag der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Verfügung den Antragsgegnern durch Beschluß vom 25. April 1996 untersagt, in von der Antragstellerin verlegten Tageszeitungen veröffentlichte Anzeigen, insbesondere Stellenanzeigen aus der B., über einen sog. »Stellenmarkt online« elektronisch zu veröffentlichen, zu verbreiten und/oder veröffentlichen oder verbreiten zu lassen und/oder Dritten in sonstiger Weise elektronisch zur Nutzung zu überlassen, wenn dies geschieht, wie im Beschluß wiedergegeben wird.

Gegen den den Antragsgegnern am 2. Mai 1996 im Parteibetrieb zugestellten Beschluß haben diese am 30. April 1996 Widerspruch eingelegt.

Die Antragstellerin trägt vor:

Die Verwendung der in der Tageszeitung B. veröffentlichten Stellenanzeigen für den elektronischen Stellenmarkt der Antragsgegner stelle eine sittenwidrige Leistungsübernahme im Sinne des § 1 UWG dar. Sie - die Antragstellerin - müsse - dies ist unstreitig - erhebliche Aufwendungen einsetzen, um den Stellenmarkt zu betreiben. Bei den Aufwendungen handele es sich - was gleichfalls unstreitig ist - um Kosten für die Anzeigen-Annahmestellen, für die Aufgliederung und Zuordnung der Anzeigen in übersichtliche Rubriken sowie für die Werbung. Die Übernahme der Anzeigen durch die Antragsgegner bringe sie um die Früchte dieser Akquisitionsleistungen. Denn sie wirke sich auf die Nachfrage nach den Ausgaben der B. negativ aus, da die Leser die Anzeigen auch ohne Erwerb der Tageszeitung online lesen könnten. Im übrigen verwendeten die Antragsgegner die Anzeigen der Antragstellerin zum Aufbau eines eigenen Stellenmarktes, da Direktinsertionen nur dort verstärkt getätigt würden, wo bereits ein umfangreicher Stellenmarkt vorhanden sei.

Die Antragstellerin beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 25. April 1996 mit der Maßgabe zu bestätigen, daß es auf Seite 5 des Beschlußabdrucks heißt, »[...] wenn dies geschieht wie vorstehend wiedergegeben«.

Die Antragsgegner beantragen,

die einstweilige Verfügung vom 25. April 1996 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlaß zurückzuweisen.

Die Antragsgegner tragen vor:

Die Parteien stünden nicht in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zueinander. Der Schwerpunkt ihres - der Antragsgegner - Angebot liege im Raum Mannheim-Heidelberg-Karlsruhe, ihr Dienst in Berlin könne nur gegen höhere Kosten in Anspruch genommen werden. Die Publikationen der Antragstellerin würden im Bereich Mannheim-Heidelberg-Karlsruhe typischerweise nicht gelesen werden.

In der Auswertung des Stellenanteils der B. liege keine sittenwidrige Lei-stungsübernahme. Dies folge schon daraus, daß sie - die Antragsgegner - die Anzeigen aus der nicht einfach übernommen hätten, sondern vielmehr - dies ist unstreitig - eine Auswahl aus den vorhandenen Anzeigen vorgenommen sowie die herausgesuchten Anzeigen erheblich verkürzt und mit der jeweiligen Quellenangabe versehen hätten. Die Lektüre der Originalpublikationen werde dadurch nicht ersetzt, da die für die Außendarstellung des Anzeigenden maßgebliche sprachliche Ausdrucksweise und grafische Gestaltung der Anzeige im Original - dies ist gleichfalls unstreitig - aus der Online-Version nicht ersichtlich sei. Im übrigen sei auch eine den Originalpublikationen der Antragstellerin vergleichbare Abdeckung des Anzeigenspektrums nicht beabsichtigt. Ferner enthalte ihr Anzeigendienst zu etwa 50 % Nachweise, die durch eigene unmittelbare Akquisitionstätigkeit der Antragsgegner gewonnen worden seien. Hierbei handele es sich sowohl um Stellenangebote von Firmen als auch um Stellengesuche.

Ihr Online-Dienst vermöge die Antragstellerin auch nicht zu schädigen. Seine Funktion bestehe darin, auf die Originalanzeigen hinzuweisen. Dadurch würde der Verkauf der Publikationen der Antragstellerin eher noch gefördert. Im übrigen erschienen die Anzeigen bei ihr erst einige Tage nach dem Erscheinen in der Originalpublikation, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Originalausgaben bereits wertlos seien.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Dem nach §§ 936, 924 ZPO zulässigen Widerspruch ist in der Sache der Erfolg zu versagen und die einstweilige Verfügung nach § 925 Abs. 2 ZPO zu bestätigen, da sie zu Recht erlassen wurde und fortbesteht.

1. Der Antrag auf ihren Erlaß ist nach § 24 Abs. 2 S. 1 UWG im Gerichtsstand des Begehungsortes zulässig.

Die Norm ist ohne die Beschränkung des § 24 Abs. 2 S. 2 UWG anwendbar, weil die Antragstellerin nicht als Gewerbetreibende i.S.d. § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG, sondern als unmittelbare Wettbewerberin der Antragsgegner auf dem Anzeigenmarkt in Berlin klagt. Denn die Antragsgegner sind zu dem von der Antragstellerin in der betriebenen Stellenmarkt für den Großraum Berlin dadurch in unmittelbaren Wettbewerb getreten, daß ihr »online« betriebener Stellenmarkt unter anderem auf Anzeigen aus der B. beruht und - wie die Antragsgegner selbst einräumen - über das Netzwerk der Telekom auch in Berlin abrufbar ist. An der unmittelbaren Wettbewerbssituation ändert es nichts, wenn - wie die Antragsgegner behaupten - ihr wirtschaftlicher Schwerpunkt im Raum Mannheim-Heidelberg-Karlsruhe liegen sollte und ihr Dienst in Berlin nur gegen höheres Entgelt in Anspruch genommen werden kann.

Begehungsort der von der Antragstellerin gerügten Wettbewerbsverletzung ist Berlin. Unter Begehungsort ist nicht nur der Ort der Tathandlung zu verstehen, sondern auch der Ort, an dem der Verletzungserfolg eintritt (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 18. Auflage 1995, § 24 UWG Rz. 6). Dies ist auch Berlin, da der von den Antragsgegnern »online« betriebene Stellenmarkt - wie vorstehend dargelegt wurde - unter anderem in Berlin abgerufen werden kann.

2. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch folgt aus § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen Ausbeutung fremder Leistungen. Denn die Antragsgegner haben sich in sittenwidriger Weise den durch eigene Akquisitionstätigkeit aufgebauten Anzeigenmarkt der Antragstellerin zu eigen gemacht, indem sie den Inhalt von Stellenanzeigen aus der B. - wenn auch in verkürzter Form - in ihren eigenen »online« betriebenen Stellenmarkt aufgenommen haben.

Der von der Antragstellerin aufgebaute Anzeigenmarkt stellt eine wettbewerbsrechtlich schützenswerte Position dar. Er ist das Ergebnis einer eigenen Leistung der Antragstellerin, nämlich einer jahrelangen mühevollen und kostenträchtigen Akquisitionstätigkeit. Der Aufbau eines eigenen Anzeigenmarktes erfordert deswegen einen besonderen Aufwand, weil sich Angebot und Nachfrage in der Weise gegenseitig bedingen, daß eine geringe Zahl von Anzeigen nur wenige Leser anzuziehen vermag und eine kleine Leserschaft nur wenige Anzeigenkunden anlockt. Es bedarf daher einer besonders intensiven Akquisitionstätigkeit auf der Seite der Anzeigenkunden insbesondere durch die Unterhaltung von Anzeigen-Annahmestellen und Werbemaßnahmen einerseits und einer ebenso intensiven Werbetätigkeit auf der Seite der potentiellen Leser andererseits, um einen großen Anzeigenmarkt aufzubauen. Dies ist der Antragstellerin hinsichtlich des Anzeigenmarktes der B. in besonderer Weise gelungen.

Die Antragsgegner haben sich dieses Leistungsergebnis der Antragstellerin zu eigen gemacht, indem sie dem Anzeigenteil der Anzeigen entnommen haben und sie ihrem wesentlichen Inhalt nach in ihren Online-Dienst aufgenommen haben. Mit der Übernahme von Anzeigen aus der B. haben sie ihr Angebot an Stellenanzeigen vergrößert, was die Attraktivität ihres Dienstes für potentielle Nutzer und damit auch für eigene Anzeigenkunden gesteigert hat, ohne die Akquisitions- und Werbekosten aufwenden zu müssen, die die Antragstellerin zum Aufbau ihres Anzeigenmarktes aufwenden mußte.

Dabei ist es - entgegen der Auffassung der Antragsgegner - unerheblich, daß sie die Anzeigen nicht wörtlich und grafisch in identischer Form übernommen haben, sondern vielmehr nur ihrem wesentlichen Inhalt nach. Denn für den Stellensuchenden kommt es ganz entscheidend auf die inhaltlichen Informationen einer Stellenanzeige an; wie der Anzeigentext formuliert und die Anzeige grafisch gestaltet worden ist, ist für ihn nur von untergeordneter Bedeutung. Die inhaltlichen Informationen - d.h. insbesondere die Beschreibung der Tätigkeit, die Anforderungen an den Bewerber und die Anschrift des Ausschreibenden - werden, wenn auch stichwortartig und unter Verwendung von Abkürzungen, so doch weitgehend vollständig wiedergegeben.

Daher kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß - wie die Antragsgegner meinen - die Lektüre der Anzeigen in ihrem Online-Dienst die Lektüre der Originalanzeigen in der B. nicht zu ersetzen vermögen. Denn ein Online-Stellenmarkt macht nur dann wirtschaftlich Sinn, wenn er die Lektüre der Anzeigenblätter erübrigt. Wenn der Stellensuchende zusätzlich zu den Kosten für den interaktiven Dienst auch noch die Kosten für das Anzeigenblatt aufwenden müßte, würde er sofort auf die Stellenanzeigen in den Zeitungen zurückgreifen und auf die elektronische Dienstleistung verzichten. Im übrigen räumen die Antragsgegner auf Seite 3 ihres Schriftsatzes vom 8. Mai 1996 selbst ein, daß nur selten Nutzer des Online-Dienstes nach den Nachweisen der Anzeigen fragen.

Am Vorliegen der Leistungsübernahme ändert sich auch nichts dadurch, daß die Antragsgegner nicht sämtliche Anzeigen eines Anzeigenteils der B. sondern nur eine Auswahl von Anzeigen verwendet haben. Gleichfalls unerheblich ist der streitige Anteil der selbst akquirierten Anzeigen an sämtlichen Anzeigen des elektronischen Stellenmarktes. Denn selbst wenn die Antragsgegner nur eine geringe Anzahl von Anzeigen aus der B. übernommen hätten und im übrigen die Anzeigen selbst akquiriert hätten, hätten sie sich das Leistungsergebnis der Antragstellerin im Hinblick auf die übernommenen Anzeigen zu eigen gemacht. Die Anzahl der übernommenen Anzeigen ist lediglich für den Umfang des wettbewerbswidrigen Verhaltens von Belang.

Die Verwendung des Leistungsergebnisses der Antragstellerin durch die Antragsgegner ist nach den vorliegenden Umständen auch sittenwidrig. Dies folgt daraus, daß die Parteien auf dem Berliner Anzeigenmarkt in unmittelbarem Wettbewerb zueinander stehen und daher die Antragsgegner die durch die Verwendung des Leistungsergebnisses der Antragstellerin erzielten Vorteile unmittelbar auf deren Kosten erlangt haben. Denn wie bereits dargelegt wurde, haben die Antragsgegner die Attraktivität ihres elektronischen Stellenmarktes durch die Verwendung von Anzeigen unter anderem aus der B. gesteigert, ohne dafür die Mühen und Kosten aufbringen zu müssen, die die Antragstellerin als ihre unmittelbare Konkurrentin für den Aufbau ihres Anzeigengeschäftes aufzubringen hatte.

Ein auf der Verwendung des Leistungsergebnisses der Antragstellerin basierender Erfolg der Antragsgegner ist - entgegen der Auffassung der Antragsgegner - auch geeignet, der Antragstellerin wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Denn es besteht die Gefahr, daß mit zunehmender Attraktivität des Dienstes der Antragsgegner mehr und mehr Inserenten und Anzeigeinteressenten die Dienste der Antragsgegner statt derjenigen der Antragstellerin wahrnehmen.

Zwar vermag die Antragstellerin im Gegensatz zu den Antragsgegnern nur die Nachfrage der Anzeigeinteressenten nach am selben Tage erschienenen Anzeigen zu befriedigen, nicht jedoch die Nachfrage nach bereits an einem Vortage erschienenen Anzeigen. Denn während die Tageszeitungen der Antragstellerin am nächsten Tag im Handel nicht mehr verfügbar sind, speisen die Antragsgegner die Stellenanzeigen erst einige Tage nach Erscheinen der Originalpublikation in ihren elektronischen Dienst ein und halten sie für längere Zeit verfügbar. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Antragstellerin durch die Verwendung ihrer Anzeigen seitens der Antragsgegner jedenfalls potentielle Inserenten und Interessenten an den am jeweiligen Tage erschienenen Anzeigen an die Antragsgegner verlieren könnte. Denn da Stellenanzeigen - sofern es sich nicht um kurzfristige Aushilfsjobs handelt - über eine längere Zeitdauer hinweg ihre Aktualität behalten, ist es für den Anzeigeninteressenten unschädlich, wenn er die wenigen Tage abwartet, bis die Antragsgegner die Anzeigen in ihren Online-Dienst eingespeist haben.

Die Wiederholungsgefahr wird vermutet. Gleiches gilt für die Eilbedürftigkeit (§ 25 UWG).

Der von der Antragstellerin beantragten Korrektur des Tenors der einstweiligen Verfügung bedarf es nicht, da dieser im Original zutreffend ist (Bl. 12 d. A.) und lediglich die Beschlußausfertigung den Fehler aufweist (Bl. 12 a - 12 e d. A.).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, da das Urteil im Verfahren der einstweiligen Verfügung erlassen worden ist.

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