LG Stuttgart, Urt. v. 17.11.87, 17 O 478/87 – Mailboxbetreib

Der Betreiber einer nichtkommerziellen Mailbox haftet für rechtswidrige öffentliche Nachrichten nur dann, wenn er deren Rechtswidrigkeit erkennt oder, etwa auf einen Hinweis hin, erkennen kann. Er haftet deshalb ähnlich wie ein Zeitungsverleger für den Anzeigenteil einer Zeitung.

Fundstelle: jur-pc 1992, 1714

 

baden-wuerttemberg

LANDGERICHT STUTTGART
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Aktenzeichen: 17 O 478/87
Entscheidung vom 17. November 1987

 

In dem Rechtsstreit

[...]

Tatbestand

Die Klägerin betreibt einen Computerfachhandel und eine sogenannte Mailbox. Darunter ist eine elektronische Einrichtung zu verstehen, die jedermann, der über die technische Ausstattung verfügt, ansprechen kann, um gespeicherte Texte abzurufen oder eigene Text zu hinterlassen.

Der Beklagte ist Angestellter bei einer von der Fa. Siemens unterhaltenen Service Kommunikationsorganisation und betreibt privat ebenfalls eine Mailbox mit der Bezeichnung F., die von Interessenten kostenfrei in Anspruch genommen werden kann. Die Telefonnummer, über die seine Mailbox erreicht werden kann, verbreitete er in einschlägigen Fachzeitschriften, für die Benutzung hat er eine Anleitung ausgearbeitet, auf deren Inhalt verwiesen wird. Wegen des mit dem Verfügungsantrag, eingegangen am 22.9.1987, geltend gemachten Unterlassungsanspruchs hat die Klägerin den Beklagten mit Anwaltsschriftsatz vom 11.8.1987 vergeblich zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert.

Die Klägerin behauptet, aus der vom Beklagten betriebenen Mailbox den auf sie bezogenen Text abgerufen und ausgedruckt erhalten zu haben, der Gegenstand der mit den Anträge Ziff. 1 bis 5 geltend gemachten Unterlassungsbegehren ist.

Sie behauptet weiter, der Beklagte sei der Verfasser dieses Textes, was sich daraus ergebe, daß er gegenüber ihrem Kunden [...], der eine Gegendarstellung dazu in der Mailbox habe hinterlassen wollen, erklärt habe, sämtliche, die Klägerin betreffenden Behauptungen seien wahr. Außerdem habe er die von ihrem Kunden gespeicherte Nachricht sofort wieder gelöscht und angekündigt, weitere sie betreffende positive Mitteilungen ebenfalls zu löschen. Die Klägerin sieht in den in den Anträgen wiedergegebenen Äußerungen Falschmeldungen, die geeignet sind, sie herabzusetzen und ihren Geschäftsbetrieb schwer zu schädigen.

Die Klägerin beantragt:

Dem Antragsgegner wird es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu DM 500.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, untersagt, wörtlich oder sinngemäß folgende Behauptungen aufzustellen oder zu verbreiten:

1. »Angeblich ist der E nicht mehr Herr im Hause, die sollen einen Geschäftsführer von der Bank aufgebrummt bekommen haben. Es sollen auch so gut wie keine neuen Sachen beim E zu bekommen sein, nur alter Schrott (d.h. kein Geld für neue Ware). Die Filiale in Ludwigsburg ist ja auch zu [...]. Ach ja von wegen größere Büroräume nebenan, das war vorher eine Rumpelkammer! Sieht mir alles stark nach ‘Rette was zu retten ist' aus. Mir tun nur die Kunden leid, die dann eventuell mit Garantieansprüchen alleine dastehen.«

2. »Klar lieber X, denn was anderes bleibt diesen »Händlern« auch nicht übrig, stimmen doch die »kleinen« Tatsachen, die ich weitergehe. Was soll's auch, den Kunden kann's ja egal sein, ob der Geschäftsführer mittlerweile der Bank eingesetzt wurde und Firmen wie Magirus Datentechnik das kalte Schlottern bekommen, wenn sie den Namen dieser Firma hören. Ist auch egal, wenn gleich geplatzte Schecks doppelt und dreifach auftauchen, nur spricht sich sowas »rum«.

3. »Ein Bekannter von mir (auch hier in der Box vertreten) wollte beim E einen AT kaufen, also mal locker 7.000.- bis 8.000,- Märker loswerden. Die hatten aber nur altes Zeug (auch was Atari anging, er kennt sich auch damit aus) und haben ihn behandelt, als hätte er um ein Stück Brot gebeten. Von einem Bänker, der bei ‘uns' Kunde ist - und von den Firmenchefs der Firmen Magirus Datentechnik und des STAR Großhändlers, der für unsere Region zuständig ist (Name fällt mir gerade nicht ein, ich kann aber auch n schauen). So, habt Ihr andere Facts? Lügt etwa der Herr Magirus?«

4. »Sicher, das kann ja mittlerweile schon sein, aber daß Kunden, die für DM 7.000,- einen AT kaufen wollen, auf diese Art rausgeworfen werden - na ja. Ach ja, laut Deutschland, wird der E nur noch gegen Vorkasse beliefert - muß also doch was sein an den ganzen Gerüchten (die ich mir wie gesagt, auch nicht aus den Fingern sauge).«

5. »Da frage ich mal andere Händler, die auch mit der Atari zusammenarbeiten, die lachen mittlerweile nur noch aber die besagte Firma [...]«

Der Beklagte beantragt,

den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, ein Verfügungsgrund bestehe nicht mehr, nachdem die Klägerin ihn bereits mit Schreiben vom 11.8.1987 abgemahnt habe und danach mehr als einen Monat zugewartet habe, bevor sie den Antrag bei Gericht eingebracht habe.

Weiter behauptet der Beklagte, nicht Autor der beanstandeten Äußerungen zu sein. Ob dieser Text überhaupt in der von ihm betriebenen Mailbox gespeichert gewesen sei, wisse er nicht. Da der Betrieb der Mailbox sein Hobby sei, überprüfe er die gespeicherten Mitteilungen nur gelegentlich. Inzwischen sei dieser Text - sollte er jemals gespeichert gewesen sein - jedenfalls wieder gelöscht, weil die Mailbox nur über eine begrenzte Speicherkapazität verfüge und die jeweils ältesten Mitteilungen automatisch gelöscht würden, wenn der Speicher voll sei. Er selbst habe weder diesen Text noch eine »Gegendarstellung« gelöscht, sondern Herrn X lediglich aufgefordert, keine Werbetexte in der Mailbox zu hinterlassen. Der Beklagte trägt weiter vor, er habe kein Interesse, der Klägerin wirtschaftlichen Schade zuzufügen. Erst nach Erhalt des Abmahnschreibens habe er Nachforschungen über die Klägerin angestellt und dabei erfahren, daß die wirtschaftliche Situation tatsächlich nicht besonders rosig zu sein scheine. Im übrigen enthalte der von der Klägerin beanstandete Text im wesentlichen Meinungsäußerungen; soweit ein tatsächlicher Gehalt vorhanden sei, sei dessen Unwahrheit von der Klägerin nicht substantiiert dargetan.

Der Beklagte ist der Ansicht, für die von Dritten in der Mailbox hinterlassenen Nachrichten könne er nicht verantwortlich gemacht werden. Seine Situation als Betreiber der Mailbox sei ähnlich der der Fernsehanstalten, die Diskussionsteilnehmern im Rahmen eine Live-Sendung Gelegenheit zur Meinungsäußerung zu geben pflegten. Außerdem sei es ihm überhaupt nicht möglich, die Verbreitung bestimmter Texte über die Mailbox von vornherein zu verhindern, weil die Mailbox für jedermann frei zugänglich sei und automatisch funktioniere, also jede von einem Benutzer gespeicherte Nachricht sofort von anderen Benutzern abgerufen werden könne, ohne daß er als Betreiber den Inhalt der Nachricht zu Kenntnis nehme. Äußerstenfalls sei denkbar, daß er verpflichtet sei, beanstandenswerte Mitteilungen zu löschen, was ihm im vorliegenden Fall jedoch nicht mehr möglich sei, weil der Text, sollte er je gespeichert gewesen sein, inzwischen gelöscht ist.

Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eidesstattliche Versicherungen ihres Geschäftsführers Z ohne Datum und des X vom 3.9.1987 vorgelegt, der Beklagte eine eigene eidesstattliche Versicherung vom 17.10.1987.

Entscheidungsgründe

Der Antrag au Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet, weil der Klägerin ein Anspruch auf Unterlassung des Aufstellens und der Verbreitung von Äußerungen im geltend gemachten Umfang nicht zusteht.

I.

Zweifelhaft erscheint bereits, ob die Dringlichkeit für eine einstweilige Regelung noch steht, nachdem die Klägerin mindestens seit 11.8.1987 (Datum der Abmahnung) Kenntnis von der Verbreitung der von ihr beanstandeten Äußerungen und dennoch bis zur Einbringung ihres Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ca. 6 Wochen zugewartet hat, ohne daß ein Grund dafür ersichtlich ist, und außerdem auch dieses Verfahren nicht schleunigt betreibt.

Auf die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG kann die Klägerin sich nicht berufen, da zwischen den Parteien kein Wettbewerbsverhältnis besteht, weil der Beklagte unstreitig nicht gewerblich tätig ist, sondern die Mailbox privat betreibt, und deshalb auch wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche der Klägerin nicht in Betracht kommen.

Letztlich kann die Problematik des Verfügungsgrundes jedoch dahinstehen, weil ein Unterlassungsanspruch der Klägerin auch aus materiellrechtlichen Gründen nicht besteht.

II.

1. Hinsichtlich des begehrten Verbotes zum Aufstellen von Behauptungen ist eine Begehungs- oder Wiederholungsgefahr nicht feststellbar, weil die Klägerin nicht glaubhaft gemacht hat, daß der Beklagte die beanstandeten Äußerungen selbst verfaßt hat. Der Umstand, daß der Beklagte gegenüber Herrn X nicht bestritten hat, Verfasser dieser Nachrichten zu sein, ist bestenfalls ein Indiz für die Autorenschaft des Beklagten, das durch seine eigene eidesstattliche Versicherung, die beanstandeten Texte nicht verfaßt zu haben, entkräftet wird. Bei dieser Sachlage kann nicht angenommen werden, daß die Gefahr von Rechtsverletzungen durch das Aufstellen von Behauptungen durch den Beklagten unmittelbar bevorsteht.

2. Dies gilt in ähnlicher Weise für den die Begehungsform der Verbreitung von Äußerungen betreffenden Unterlassungsanspruch.

Zwar hat die Klägerin insoweit durch die eidesstattlichen Versicherungen ihres Geschäftsführers und des X sowie die Vorlage des bei ihr ausgedruckten Textes glaubhaft gemacht, daß die beanstandeten Äußerungen in der vom Beklagten betriebenen Mailbox gespeichert waren und dort von jedermann abgerufen werden konnten und somit verbreitet wurden, jedoch ist unstreitig, daß dieser Text inzwischen wieder gelöscht ist, so daß seine weitere Verbreitung über die Mailbox des Beklagten derzeit nicht zu befürchten ist. Eine nochmalige Verbreitung würde voraussetzen, daß derselbe Text erneut gespeichert würde, was angesichts dessen, daß die beanstandeten Äußerungen im Rahmen eines zwischen mehreren Benutzern der Mailbox in schriftlicher Form geführten »Gespräches« gemacht wurden, nicht wahrscheinlich ist.

Aber selbst wenn die Gefahr bestünde, daß der Text erneut in die Mailbox eingespeichert wird, bestünde kein vorbeugender Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten.

Zwar wirkt der Beklagte, der die Mailbox, ohne wirtschaftliche Zwecke zu verfolgen, jedermann als Kommunikationsmittel in Form einer elektronischen Anschlagtafel zur Verfügung stellt, an der Verbreitung der dort abrufbaren Mitteilungen mit und kann deshalb im Falle der Beeinträchtigung Dritter durch den Inhalt der Mitteilungen auf Unterlassung der Verbreitung in Anspruch genommen werden (vgl. BGH NJW 1976, 799, 800), er ist jedoch nicht verpflichtet, jede eingehende Nachricht auf ihre rechtliche Unbedenklichkeit zu überprüfen, bevor er ihre Speicherung und damit ihre Abrufbarkeit zuläßt. Mit der Auferlegung einer solchen zeitaufwendigen und im Einzelfall rechtlich schwierigen Überprüfungspflicht würden die an den nichtgewerblichen Betreiber einer Mailbox zu stellenden Sorgfaltsanforderungen überspannt. Insoweit ist seine Verantwortlichkeit der eines Zeitungsverlegers für den Anzeigenteil vergleichbar (vgl. dazu BGH GRUR 1972, 722, 723 - Geschäftsaufgabe -; BGH GRUR 1973, 203, 204 - Badische Rundschau -), was bedeutet, daß er dem betroffenen Dritten erst dann auf Unterlassung der Verbreitung haftet, wenn er dessen Beeinträchtigung erkennt oder, etwa auf einen Hinweis hin, erkennen kann.

Im übrigen könnte die Klägerin ihren Unterlassungsanspruch gegen den nicht im Wettbewerb handelnden Beklagten lediglich auf § 824 BGB stützen, der voraussetzt, daß es sich bei den beanstandeten Äußerungen um geschäftsschädigende unwahre Tatsachenbehauptungen handelt. Bei den in den Anträgen 1 bis 5 wiedergegebenen Texten, deren Verbot die Klägerin insgesamt erstrebt, handelt es sich jedoch überwiegend um wertende, zum Teil auch wertneutrale Meinungsäußerungen, die lediglich vereinzelt mit tatsächlichen Angaben ergänzt sind. Im einzelnen braucht dies, da es nach den vorstehenden Ausführungen nicht entscheidungserheblich ist, nicht näher dargelegt zu werden.

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