Software und das Jahr-2000-Problem Oder: Am 1. Januar 2000 ist der Weltuntergang?

Jörg Heidrich  / Juli 1999

Noch ein halbes Jahr bis zum »magischen Datum« 1. Januar 2000. Was genau an diesem Silvesterabend passieren wird, kann niemand vorhersagen. Die Meinungen reichen von »Nichts« bis zum »Weltuntergang«. Immerhin wurde auf dem G8 Gipfel Mitte 1998 die Ansicht vertreten, dass das Jahr-2000-Problem ein »wesentliches Problem für die internationale Gemeinschaft« darstellt. Nachdem dieses Thema in Deutschland lange schlicht ignoriert wurde, haben sich in den letzten zwei Jahren viele Unternehmen und Verwaltungen hektisch an die Problemlösung gemacht.

 Was ist der »Millenium Bug«?

In vielen Informationssystemen werden Jahreszahlen nur zweistellig gespeichert und verarbeitet. So wird der 1. Juli 1999 zum Beispiel nur als 01.07.99 wiedergegeben. Dies hatte seinen technischen Grund darin, dass Speicherplatz teuer war und man mit dieser Verkürzung schlicht Geld sparen wollte. Dies bedeutet aber, dass am 1. Januar 2000 die Datumsanzeige logischerweise wieder auf Null zurückfällt. Nur leider »weiss« der Computer dann nicht, dass ein neues Jahrhundert angebrochen ist, für ihn fällt die Anzeige auf das Jahr 1900 zurück. Das Jahr 2000 liegt also plötzlich 99 Jahre vor dem Jahr 1999.

Ohne entsprechende Anpassung werden diese Systeme zu Fehlern führen, wenn auf Zeitpunkte im nächsten Jahrtausend Bezug genommen wird. So kann beispielsweise ein Telefonat über das Jahr 2000 hinaus plötzlich mit einer Gesprächsdauer von 100 Jahren berechnet werden, 10jährige bekommen einen Rentenbescheid oder elektrische Systeme verweigern ihren Dienst.

Grosse Anwendungen für Banken, Verwaltungen und Versicherungen entstanden im Laufe der vergangenen Jahre überwiegend in der Computersprache Cobol. Diese Sprache bietet vor allem gute Voraussetzungen für exaktes Rechnen. Programme in Cobol sind zum Teil immer noch in Betrieb und werden über einen Zeitraum von zwanzig Jahren gepflegt und angepasst. Aus Kompatibilitätsgründen entsteht sogar noch heute Software in dieser Sprache.

Um derartige Programme »Jahr-2000-fest« zu machen, muß nun Zeile um Zeile (große Cobol-Programme haben zum Teil über 100.000 Zeilen) der Programmierung durchgegangen und kontrolliert werden. Die Kosten dafür belaufen sich auf etwa einen US-Dollar pro Zeile. Experten schätzen daher die Gesamtkosten weltweit auf unvorstellbare Beträge zwischen 100 Milliarden und 1,6 Billionen US-Dollar. Hinzu kommt noch, dass sich nicht mehr viele Programmierer in dieser Sprache auskennen, so dass bereits pensionierte Computerveteranen zur Beseitigung der Probleme aus der Rente geholt werden mußten.

»Embedded Systems«

Herkömmliche Personal Computer machen aber nur einen Bruchteil des Computerbestands der Erde aus. Milliarden unscheinbarer Mikroprozessoren stecken in Telefonen und Flugzeugen, medizinischen Geräten, Mikrowellen und Atomreaktoren. Diese Steuerungssysteme nennt man »Embedded Systems« und sie stellen nach Meinung aller Fachleute das eigentliche Problem des sog. »Y2000-Bugs« dar. Davon gibt es nämlich um ein Vielfaches mehr als von »richtigen« Computern und sie sind zudem schlecht zu finden, testen und zu warten. Dafür sind sie nämlich in der Regel schlicht nicht konstruiert: Wie spielt man ein Softwareupdate in eine Mikrowelle ein?

Was wird passieren?

Das kann niemand vorhersagen. Während von (mehrheitlich) staatlichen Stellen eifrig versichert wird, man habe »alles im Griff«, verschanzen sich in den USA einige Software-Experten bereits mit Vorräten für mehrere Monate und Waffen in den Wäldern oder der Wüste, da sie das Ende der Zivilisation erwarten.

Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen. Mit Sicherheit ist zu erwarten, dass einige Computersysteme zusammenbrechen werden. Dabei ist zu hoffen, dass wirklich wichtige Einrichtungen wie Banken, Strom- und Lebensmittelversorger, medizinische Notfalldienste, oder Fluggesellschaften das Problem rechtzeitig erkannt und gebannt haben.

Neben EDV-Anwendern werden aber auch Dritte durch das Jahr-2000-Problem betroffen sein. Zu denken ist etwa an die Auswirkungen fehlerhafter Datenverarbeitung auf Kunden von Banken oder Versicherungen, Mitglieder von Pensionskassen usw. Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr, dass Sachen beschädigt oder Personen verletzt werden. Fehlerhafte Software hat in der Vergangenheit bereits dazu geführt, dass Verkehrsleitsysteme zusammenbrachen, Reisezüge zusammenstiessen oder Satelliten verlorengingen. So hat die niederländische Fluggesellschaft KLM bereits beschlossen, aus Sicherheitsgründen in der Silvesternacht ihre Flugzeuge am Boden zu lassen. Das nächtliche »Millenium«-Feuerwerk aus der Luft zu betrachten, empfiehlt sich also nur für ganz Mutige.

Und bei Ihnen zuhause?

Gegen das, was Firmen und Verwaltungen in der Nacht zum 1. Januar 2000 droht, nehmen sich die Probleme, die an den heimischen PCs zu erwarten sind, eher harmlos aus. Es ist davon auszugehen, dass aktuelle, weitverbreitete PC-Software weitestgehend fehlerfrei ist, auch wenn die erstaunte Öffentlichkeit hier und da gelegentlich eines Besseren belehrt wird. Da im Jahre 1999 solche Fehler natürlich einen peinlichen Image-Schaden bedeuten, sind die Hersteller entsprechender Software natürlich schnell mit einem »Bugfix« zur Hand, der das Problem behebt.

Selbstverständlich können aber auch auf privaten PCs mit der Umstellung auf das neue Jahrtausend erhebliche Probleme und Schäden entstehen. Vorstellbar ist etwa der Verlust wichtiger persönlicher Aufzeichnungen oder Datenbanken.

Wer haftet für Jahr-2000-Schäden durch Software?

In rechtlicher Hinsicht bestehen unterschiedliche Haftungsrisiken: Schadensersatzansprüche können einmal gegen den Lieferanten der Software bestehen, eventuell auch gegen den Hersteller des Programmes oder den Importeur. Dabei ist zwischen unterschiedlichen Software-Arten zu unterscheiden:

Bei »Software von der Stange«, also den normalen, im Geschäft erhältlichen Standardprogrammen, wird zwischen Käufer und Verkäufer ein Kaufvertrag geschlossen. Das ist Software, die für eine Vielzahl von Anwendern entwickelt wurden, ohne auf die speziellen Bedürfnisse einzelner Kunden Rücksicht zu nehmen. Die Rechte des Käufers bestimmen sich nach den §§ 433 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Der Käufer erwirbt das Eigentum an dem Datenträger (Diskette, CD-ROM) und das Recht der Nutzung des Programmes (Nutzungslizenz). Im Gegenzug wird der vereinbarte Kaufpreis fällig.

Dagegen wird beim Erwerb von individualisierter Software zwischen Hersteller und Käufer ein sogenannter Werkvertrag nach den §§ 631 ff. BGB abgeschlossen. Bei solchen, speziell auf die Wünsche des Kunden zugeschnittenen oder umgearbeiteten Programmen gelten daher die Gewährleistungsregeln des Werkvertragsrechtes. Diese dürften aber für den "Normalkunden" nur äußerst selten interessant werden.

Da es sich bei mangelnder Jahr-2000-Kompatibilität einer Software unzweifelhaft um einen Fehler im Sinne des Gesetzes handelt, sind die allgemeinen Gewährleistungsregeln des Kaufrechts anwendbar. Zu nennen sind hier vor allem Ansprüche auf Rückabwicklung des Kaufvertrages (sog. Wandlung), Minderung des Kaufpreises und unter Umständen auch auf Schadensersatz.

Wer bezahlt meine defekte Mikrowelle?

Die entsprechenden Regelungen gelten nicht nur für Software, sondern auch für alle sonstigen Elektrogeräte oder solche mit entsprechenden Bauteilen (Pkws!), die durch die Datumsumstellung ihren »elektronischen Geist« aufgeben könnten. Sollte also am 1. Januar 2000 Schlag 0 Uhr Ihr Videorecorder seinen Dienst endgültig versagen, haben Sie selbstverständlich Gewährleistungsansprüche gegen den Verkäufer des Gerätes. Allerdings werden Sie Schwierigkeiten haben, zu beweisen, dass dies an der Jahresumstellung liegt. Ferner ist zu beachten, dass Ersatzansprüche aus dem Kaufrecht in aller Regel in sechs Monaten verjähren, was wohl das eigentliche Problem darstellen wird.

Sonstige Haftung

Rechtlich weitaus problematischer und zum Teil noch ungeklärt ist die Haftung für sonstige, sogenannte »außervertragliche« Schäden. Hierunter versteht man Schäden, die nicht dem unmittelbaren Benutzer der fehlerhaften Software selbst, sondern Dritten entstehen. Solche Personen haben zu dem Hersteller oder Vertreiber des defekten Produkts regelmäßig selbst keine vertragliche Beziehung. Hierunter fallen beispielsweise Schäden durch einen Stromausfall, ein ausbrechendes Feuer oder einem steckenbleibenden Aufzug.

Eine Haftung in solchen Fällen ergibt sich nach dem derzeitigen Stand der Diskussion aus dem Produkthaftungsgesetz und dem Deliktsrecht (§ 823 BGB). Weitgehend ungeklärt ist aber, wer dann praktisch haften, also für den Schaden zahlen soll. Möglich erscheint eine Inanspruchnahme des Betreibers der Einrichtung, des Herstellers, des Importeurs oder der Versicherung. Gerade in diesem Bereich werden enorme Schadenssummen entstehen, bei denen es bis heute noch nicht bekannt ist, wer letztlich dafür aufkommen muss.

Fazit

Das auf den ersten Blick eher unscheinbare Problem einer verkürzten Kalenderjahresangabe enthält nicht nur technischen und wirtschaftlichen, sondern auch juristischen Sprengstoff. Dennoch besteht wenig Grund, in der Silvesternacht des Jahres 1999 mit einem drohenden »Weltuntergang« zu rechnen. Es ist davon auszugehen, zumindest darauf zu hoffen, dass alle elementare Computersysteme bis zu diesem Zeitpunkt geprüft und umgestellt sein sollten.

Schaden kann es aber sicher nicht, sich in den letzten Tagen des Jahres 1999 noch einmal zum Geldautomaten zu bewegen, Aufzüge zu vermeiden und sich ein großes Paket Kerzen zuzulegen. Wenn nichts passiert, kann man sich mit den Kerzen ja auch einen schönen Abend im 21. Jahrhundert bereiten.