LG München, Urt. v. 23.05.99, 9 HKO 22713/98 - Werbung für Online-Buchhandel

Wer in seiner Werbung das Wort »anbieten« verwendet, ohne die angebotenen Waren in verkehrsüblicher Zeit verfügbar machen zu können, erfüllt den Tatbestand der Irreführung nach § 3 UWG.

Fundstelle:  K&R 1999, 574

 

bayern

LANDGERICHT MÜNCHEN I
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Aktenzeichen: 9 HKO 22713/98
Entscheidung vom 23. Mai 1999

 

In Sachen

[...]

wegen Unterlassung

erlässt das Landgericht München I, 9. Kammer für Handelssachen durch die unterzeichnenden Richter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.04.1999

folgendes

Endurteil

I. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 23. Dezember 1998 wird in Nr. I b), I c) und I d) bestätigt.

II. Im übrigen wird die einstweilige Verfügung vom 23. Dezember 1998 aufgehoben und der Antrag insoweit abgewiesen.

III. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 2/5, die Antragsgegnerin 3/5.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; die Antragstellerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 4.000,-- abwenden, wenn nicht zuvor die Antragsgegnerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien sind Buchhandelsgesellschaften, die ihre Bücher ausschließlich über das Internet anbieten. Die Antragsgegnerin warb im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«, Ausgabe 50/1998 auf Seite 61, mit folgenden Schlagworten: »Über 4 Mio. internationale Buchtitel« und »Mehrsprachige Benutzerführung (Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Niederländisch, Französisch)« (Anlage EVK 1).

Im Internet bewarb die Antragsgegnerin ihr Unternehmen ferner mit folgenden Aussagen: Die Antragsgegnerin sei ein Zusammenschluss »von über 30 Buchhändlern und Verlegern, der unter der Internet-Adresse www.buch.de und dem Markennamen buch.de zur Zeit ca. 4 Mio. Buchtitel anbietet«.

»Mit 4.2 Mio. Büchern größter Online-Buchhandel der Welt«; "Dies ist im Sinne der buch.de AG, ab Mitte Oktober mit 4.2 Mio. verfügbaren Buchtiteln größter Online-Buchhandel der Welt ...« (Anlage EVK 2).

Die Antragstellerin hat vorgetragen daß die in Anspruch genommenen Werbebehauptungen nicht zutreffen können. Selbst der größte Internet-Buchhandel, die Amazon.com, bietet unstreitig nur ca. 3 Mio., Bücher, CD's und Computerspiele an (Anlage EVK 5). Im übrigen sei eine fremdsprachige Benutzerführung nicht feststellbar.

Die Antragstellerin beantragte am 22.12.1998 den Erlaß einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin bei Androhung der üblichen Ordnungsmittel die eben erwähnten Behauptungen untersagt werden sollen.

Die Kammer hat dem Antrag durch einstweilige Verfügung vom 23. Dezember 1998 stattgegeben. Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Antragsgegnerin vom 15.03.1999.

Die Antragsgegnerin macht geltend, daß die Antragstellerin nicht zur Verfolgung von etwaigen Wettbewerbsverstößen berechtigt sei, da sie sich selbst wettbewerbsrechtlich außerhalb der Rechtsordnung stelle.

Im übrigen verfüge die Antragsgegnerin als größte Internet-Buchhändlerin über eine eigene, ca. 4.2 Mio. Titel umfassende Buchdatenbank. Die Datenbank bestehe seit Mitte Oktober 1998 und sei ab Januar 1999 für die Benutzer freigegeben. Ab Oktober 1998 habe für die Kunden die Möglichkeit bestanden, Bestellungen oder Nachfragen in bezug auf 4.2 Mio. Titel bei der Antragsgegnerin abzugeben. Desweiteren verfüge die Antragsgegnerin über eine fremdsprachige Benutzerführung.

Die Antragsgegnerin beantragt deshalb,

die einstweilige Verfügung vom 23. Dezember 1998 aufzuheben .

Die Antragstellerin beantragt,

einstweilige Verfügung vom 23. Dezember 1998 zu bestätigen.

Selbst bei Unterstellung des eigenen Sachvortrags der Antragsgegnerin sei nicht nachgewiesen, dass sie über einen Bestand über 4 Millionen Titel verfüge und diesen auch tatsächlich anbieten könne. Diese Anzahl an lieferbaren Büchern existiere schlichtweg nicht. Eine Hinzurechnung vergriffener Titel sei nicht zulässig.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 20.04.1999 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Auf der Widerspruch der Antragsgegnerin war die einstweilige Verfügung der Kammer vom 23.12.1998 teilweise zu bestätigen und teilweise aufzuheben. I. Nummer I. a) und Nummer I. e) der einstweiligen Verfügung waren aufzuheben, weil die Antragstellerin bezüglich der dort untersagten Aussagen keinen Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin hat.

a) Die Aussage »Über 4 Mio. internationale Buchtitel« kann der Antragsgegnerin in ihrer isolierten Form nicht untersagt werden, weil sie durch Vorlage eines Schreibens der Firma P. vom 24.01.1999 sowie durch eidesstattliche Versicherung des Herrn K. glaubhaft gemacht hat, dass die Antragsgegnerin auf einen Buchbestand von über 4,2 Mio. Titel zurückgreifen kann. Die isolierte Aussage "Über 4 Mio. internationale Buchtitel" beinhaltet nicht die Behauptung, dass alle diese Bücher auch geliefert werden können. Bei den einschlägigen Verkehrskreisen, wozu auch die Mitglieder der Kammer zählen, ist bekannt, dass Bücher des öfteren vergriffen oder derzeit nicht lieferbar sind. Gleichwohl handelt es sich um Bücher, die es einmal gegeben hat, oder die im Rahmen einer neuen Auflage wieder erworben werden können. Herkömmliche Buchhändler stellen den jeweiligen Lieferungszustand anhand von umfangreichen Katalogen fest, in die im Einzelfall anlässlich einer Kundennachfrage Einsicht genommen wird.

Für einen Anbieter von Büchern im Internet ist es selbstverständlich, daß auch Bücher verzeichnet sind, die derzeit vergriffen oder nicht lieferbar sind. Die einschlägigen Verkehrskreise erwarten von einem Internet-Buchhändler, daß sämtliche einmal verlegte Titel grundsätzlich abrufbar sind und auch der Status ihrer Lieferbarkeit angezeigt wird.

Deshalb kann es der Antragsgegnerin nicht verwehrt werden, auf ihre Datenbank, die den glaubhaft gemachten Zugriff auf ca. 4,2 Mio. Buchtitel erlaubt, werbemäßig hinzuweisen. Eine Irreführung der einschlägigen Verkehrskreise, die Bücher erwerben, ist mit dieser isolierten Aussage nicht verbunden.

b) Desweiteren war die einstweilige Verfügung unter Nr. l. e) aufzuheben, weil die Antragsgegnerin nachgewiesen hat, daß sie - zwischenzeitlich eine mehrsprachige Benutzerführung auf ihrer Internetseite anbietet. Die Antragsgegnerin hat durch Vorlage der aktuellen Ausdrucke ihrer Internetseite glaubhaft gemacht, daß sie auch weitere Sprachen neben Deutsch in der Benutzerführung anbietet. Die Fremdsprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Niederländisch sind durch die Auszüge glaubhaft gemacht. Insoweit war die Erkenntnis der Kammer zu Beginn des Erlasses der einstweiligen Verfügung am 23.12.1998 überholt.

2. Im übrigen war die einstweilige Verfügung vom 23.12.1998 zu bestätigen, weil diesbezüglich die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin einen Unterlassungsanspruch aus § 3 UWG hat.

Der Einwand der Antragsgegnerin, daß sich die Antragstellerin selbst wettbewerbsrechtlich außerhalb der Rechtsordnung stelle, spielt im Rahmen eines konkreten Wettbewerbsprozesses keine Rolle. Vielmehr ist in jedem Verfahren isoliert die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des konkret angegriffenen Verhaltens vorzunehmen. Soweit die einstweilige Verfügung der Kammer bestätigt worden ist, konnte die Antragsgegnerin nicht den erforderlichen Beweis oder die Glaubhaftmachung dafür erbringen, daß die angegriffenen Werbeaussagen auch tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Im einzelnen:

a) Die Aussage »Mit 4.2 Mio. Büchern größter Online-Buchhandel der Welt« ist nicht zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen worden. Glaubhaft gemacht worden ist lediglich der Zugriff möglicher Kunden auf ca. 4,2 Mio. Buchtitel. Daß sich hieraus bereits die in der Aussage enthaltene Folge ergibt, größter Online- Buchhandel der Welt zu sein, ist demgegenüber nicht nachgewiesen. Mit der Aussage »größter Online- Buchhandel der Welt« wird nicht nur eine Aussage darüber getroffen, auf wieviele Titel ein konkreter Kunde Zugriff haben kann. Vielmehr spielen für die Beurteilung des Wahrheitsgehalts dieser Aussage auch andere Aspekte eine Rolle, wie z.B. internationaler Verbreitungsgrad, Marktstellung in Deutschland und anderen Ländern, insbesondere den USA sowie die erzielten Umsätze. Für die Beurteilung der getroffenen Aussage spielt eine Rolle, daß sich die Antragsgegnerin in einem Verfahren vor der 7. Kammer für Handelssachen am 24.3.1999 ausweislich der im Termin zur mündlichen Verhandlung überlassenen Unterlagen verpflichtet hat, es bei Meidung einer Vertragstrafe gegenüber der Antragstellerin zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken zu behaupten, daß die Antragsgegnerin der zweitgrößte deutsche Internet-Buchhändler sei. Nachdem die Antragsgegnerin aufgrund ihrer eigenen Einschätzung - ansonsten wäre die Abgabe der genannten Unterlassungserklärung nicht verständlich - nicht der zweitgrößte deutsche Internet-Buchhändler ist, kann auch nicht ernsthaft davon ausgegangen werden, daß sich lediglich aufgrund des Zugriffs auf eine Datenbank mit ca. 4 Mio. Bücher die Marktstellung zum nunmehr größten Online-Buchhandel der Welt ausgeweitet hat. Für die Annahme der Richtigkeit dieser Aussage hätte es wesentlich umfangreicheren Sachvortrags durch die Antragsgegnerin zu ihrer Marktstellung in der Welt bedurft.

b) Ferner muß die Aussage »... ab Mitte Oktober mit 4.2 Mio. verfügbaren Buchtiteln größter Online- Buchhandel der Welt« als irreführend angesehen werden. Die einschlägigen Verkehrskreise fassen die getroffene Aussage dahingehend auf, daß die 4.2 Mio. angegebenen Buchtitel auch tatsächlich verfügbar sind. Verfügbar bedeutet aber dem Wortsinn nach, daß der gesamte Datenbestand mit dem geworben wird, auch tatsächlich lieferbar ist. Die Lieferbarkeit von ca. 4.2 Mio. Buchtiteln hat aber die Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht. In ihrem Widerspruchschriftsatz ist ausgeführt, daß die Kunden ab Oktober 1998 die Möglichkeit hatten, Bestellungen oder Nachfragen in bezug auf 4.2 Mio. Titel abzugeben. Ein Nachweis für die Lieferbarkeit von konkreten 4.2 Mio. Büchern ist nicht geführt worden. Die Antragstellerin trägt hierzu vor, daß es die von der Antragsgegnerin in Anspruch genommene Anzahl an lieferbaren Büchern überhaupt nicht gebe. Nachdem es der Antragsgegnerin nicht gelungen ist, die von ihr in Anspruch genommene Behauptung glaubhaft zu machen, war insoweit die einstweilige Verfügung der Kammer zu bestätigen.

c) Gleiches gilt für die Behauptung, daß die Antragstellerin zur Zeit ca. 4 Mio. Buchtitel anbiete. Bezüglich der Verwendung des Wortes »anbieten« verhält es sich wie mit der Verwendung des Wortes »verfügbar«. Anbieten bedeutet, daß ein konkreter Kunde im Einzel fall eine Bestellung abgeben kann, die binnen vertretbarer Zeit auch erfüllt wird. Für die Tatsache des Anbietens von ca. 4 Mio. Bücher ist die Antragsgegnerin ebenfalls beweisfällig geblieben. Die Antragstellerin hat vorgetragen, daß in dem Angebot der Antragsgegnerin auch sogenannte »out of print« -Titel sind, die derzeit nicht lieferbar sind. Auch wenn solche Titel, wie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, grundsätzlich nachgedruckt werden können und dadurch wieder lieferbar werden, ist jedoch nicht gewährleistet, daß eine Nachfrage eines Kunden in vertretbarer Zeit berücksichtigt werden kann. Wer in der Werbung das Wort »anbieten« verwendet, muß im Ablauf seines Geschäftsbetriebs sicherstellen, daß die angebotenen Waren in verkehrsüblicher Zeit verfügbar sind. Insoweit fehlt es an zureichendem Sachvortrag der Antragsgegnerin.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. l ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO, soweit die einstweilige Verfügung aufgehoben und der diesbezügliche Antrag abgewiesen worden ist.

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