LG Berlin, Urt. v. 06.05.86, 16 O 72/86 - Winterlandschaft

Die Definition von bekannten Grafikelementen in Bildpunktfelder (»BTX-Grafik«) ist regelmäßig keine schutzfähige Leistung, sondern als rein handwerkliches Schaffen anzusehen.

 

 berlin

LANDGERICHT BERLIN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Aktenzeichen: 16 O 72/86
Entscheidung vom 6. Mai 1986

 

In dem Rechtsstreit

[...]

hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin in Berlin (Charlottenburg), [...] für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,-- DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der btx-Dienstleistungen, wozu u.a. auch die Erstellung von Grafiken gehört. Sie bieten den btx-Teilnehmern sogenannte btx-Grafik-Grußkarten an, die von btx-Teilnehmern an andere Teilnehmer versendet werden können.

Die Klägerin behauptet: Sie habe im Jahr 1984 unter dreistündigem Arbeitsaufwand ein btx-Bild mit dem Titel »Winterlandschaft« gestaltet. Dieses bestehe hauptsächlich aus der bildhaften Darstellung dreier Motive, nämlich einer Dorfkirche und zwei verschiedener Häusertypen. Ende 1985 habe sie festgestellt, daß sich im Programm der Beklagten Weihnachts- und Neujahrsgrußkarten befänden, die zum Teil diese Motive enthalten hätten. So seien das Motiv Dorfkirche und die beiden Häusertypen zusammen mit anderen Grafikelementen dergestalt veröffentlicht worden, daß die Häuser mehrfach kopiert um die Kirche gruppiert und nur die Farben verändert worden seien.

Sie ist der Meinung: Die von ihr gestalteten Grafikmotive genössen Urheberrechtsschutz. Sie seien willentlich geschaffene Werkschöpfungen von individueller Prägung. Die Erstellung derartiger Grafikelemente erfordere neben Kreativität auch erheblichen Zeitaufwand und praktisches Talent; eine Kopie könne jedoch rein manuell durch Tastendruck erstellt werden. Weiterhin trägt die Klägerin vor: Die Beklagte verstoße auch gegen die Vorschriften des lauteren Wettbewerbs. Da diese den Telegruß-Service mit dem Schlagwort Referenzen verknüpfe, nehme der Kunde an, daß das plagiierte Werk eine Eigenschöpfung der Beklagten sei. Sie werbe daher mit fremder Leistung für eigenes Können. Darüber hinaus biete sie, im Gegensatz zur Klägerin, die btx-Bilder kostenlos an. Es sei daher davon auszugehen, daß die kostenlos angebotene Seite häufiger genutzt werde, was zur Folge habe, daß der Bekanntheitsgrad der Beklagten gesteigert und zugleich von der Klägerin abgelenkt werde. Durch gleichzeitiges Anbieten derselben Motive für den gleichen Zweck, bestehe außerdem die Gefahr der Verwechslung; die Klägerin sei mehrfach von regelmäßigen btx-Benutzern, die ihre Grafikseiten genauer kennen würden, auf die Identität der Motive hingewiesen worden. Der neben dem Unterlassungsanspruch geltend gemachte Schadensersatzanspruch sieht die Klägerin unter den Gesichtspunkten des entgangenen Gewinns und der Herstellungskosten als gerechtfertigt an.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes (die von der Klägerin auf der Bildschirmtext btx - Seitennummer (...) - erstellten dres-Zeichen, aus der Weihnachtsgrafik 1985, nämlich die Dorfkirche und die zwei Häusertypen unterschiedlichen Aussehens, zu verwenden,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 627 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus: Es treffe nicht zu, daß die Klägerin im Jahr 1984 ein btx-Bild mit dem Titel »Winterlandschaft« gestaltet habe und die Beklagte hieraus irgendwelche Motive übernommen hätte. Derartige Motive genössen außerdem keinen Urheberrechtsschutz. Ein btx-Bild werde auf einem Bildschirm erzeugt, der aus maximal 24 Zeichen zu 40 Zeichen bestehe, welche wiederum durch je ein Bildpunktfeld mit höchstens 144 Lichtpunkten definiert würden. Eine btx-Grafik erstelle man dadurch, daß die Bildpunktfelder einander so zugeordnet würden, daß die prinzipiell :nur rechteckigen Bildpunktfelder in Form eines Rasterbildes so zusammengesetzt würden, daß eine Gesamtkomposition entstünde. Es sei aber keine besondere geistige Schöpfung, in ein derartiges Bildpunktfeld das Motiv Kirche oder Häuschen zu definieren. Die grafische Darstellung dieser Gegenstände sei allgemein bekannt, und eine nach den Regeln der Kombinatorik vorgenommene Besetzung der Bildpunkte führe zwangsläufig auch zur Figur der Küche oder des Häuschens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird im übrigen auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihren Prozeßbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Unterlassungs- oder ein Schadensersatzanspruch zu.

1. Sie stützt ihre Ansprüche zunächst auf § 97 Abs. 1 UrhG. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind jedoch nicht erfüllt, da es sich bei den btx-Motiven, nämlich der Dorfkirche und den zwei verschiedenen Häusertypen, nicht um rechtlich geschützte Werke der bildenden Künste, insbesondere der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Ziff. 4 UrhG handelt. § 2 Abs. 2 definiert den Begriff Werk als persönliche geistige Schöpfungen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist unter Kunstwerk eine eigenpersönliche Schöpfung zu verstehen, die mit den Darstellungsmitteln der Kunst durch formgebende Tätigkeit hervorgebracht wird und vorzugsweise für die Anregung des ästhetischen Gefühls durch Anschauung bestimmt ist. Der ästhetische Gehalt muß jedoch einen solchen Grad erreicht haben, daß von einer künstlerischen Leistung gesprochen werden kann (BGH GRUR 85, 289, 290 »Tonfiguren«). Letztlich hängt den urheberrechtliche Werkcharakter davon ab, ob die zu beurteilenden btx-Motive nicht nur eine geistige Schöpfung darstellen, sondern diese darüber hinaus eine individuelle Eigenart aufweisen. Erst ein Überragen der von durchschnittlich befähigten Gestaltern durch »handwerkliche« Tätigkeit geschaffenen Darstellungen durch eigenartige Prägung, individuelle Geistestätigkeit und einen erheblichen ästhetischen Überschuß über die Zweckform hinaus begründet die Urheberrechtsschutzfähigkeit. Die rein handwerkliche Leistung, die jedermann mit durchschnittlichen Fähigkeiten ebenso zustande brächte, mag sie auch auf anerkennenswertem Fleiß und auf solidem Können beruhen, liegt außerhalb der Schutzfähigkeit (ständige Rechtsprechung; vgl. BGH GRUR 85, 1041, 1047 »Inkasso-Programm«; v. Gamm, Urheberrechtsgesetz, § 2 Rdn. 16; Hubmann, Urheber- und Verlagsrecht, 5. Aufl. 1984, § 15 I 1). Den von der Klägerin hergestellten Motiven, seien sie auch handwerklich durchaus gelungen und unter erheblichem Zeitaufwand hergestellt, haftet aber nicht die erforderliche individuelle Prägung an, die diese als Kunstwerk im Sinne von § 2 UrhG qualifizieren würde.

Die Grafikmotive der Klägerin lassen sich folgendermaßen beschreiben: Kirche und Häuser sind unter Außerachtlassung der Perspektive in der Weise dargestellt, daß eine Vorderseite und eine Längsseite der Gebäude zu sehen sind. Die Motive sind dreifarbig gehalten, wobei je eine Farbe auf Dach und Tür, das Mauerwerk und die Fenster entfällt. Die Kanten des Dachfirstes sind nicht gerade, sondern es entsteht vielmehr der Eindruck, es handele sich um aufsteigend angeordnete Rechtecke. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Häusertypen ist nur in den Proportionen und in der Anzahl der Fenster zu sehen.

Es fehlt diesen Motiven an einer besonderen geistigen Konzeption der schöpferischen Gestaltung, die über das hinausgeht, was im Bereich des Mediums Bildschirmtext normalerweise möglich erscheint. Den Grafikelementen liegen bekannte Darstellungen der betreffenden Gegenstände, die Allgemeingut sind, zugrunde, die lediglich in eine Bildschirmgrafik übertragen wurden. Durch die begrenzte Anzahl von Bildpunkten je Zeichen sind hierbei der Gestaltung enge Grenzen gesetzt, die zwangsläufig zu einer bestimmten Abstraktion des Motivs führt. Die für die Schutzfähigkeit erforderliche Gestaltungshöhe, die gekennzeichnet ist durch ein bedeutendes schöpferisches Überragen rein handwerklicher Darstellungen, sei es durch spezifische Ausstrahlung, sei es auf Grund eigenartiger Prägung, aufgrund derer der Betrachter über das konkret Wahrgenommene hinaus einen besonderen ästhetischen Anstoß erfährt, ist bei diesen Motiven nicht erkennbar (vgl. BGH GRUR 85, 289, 290 »Tonfiguren«; Hubmann, a.a.O., § 15 T). Ein über das bloß Ansprechende und Zweckmäßige hinausgehendes künstlerisches Bestreben und eine künstlerische Wirkung, die den Motiven notfalls auch ohne den Umstand, daß die Wiedergabe im Rahmen eines btx-Bildes erfolgt, eine gewisse selbständige Bedeutung verschaffen würde, sind diesen nicht zu entnehmen. Die Definition von bekannten Grafikelementen in Bildpunktfelder ist keine schutzfähige Leistung sondern, auch wenn es sich hierbei um eine schwierige und zeitaufwendige Tätigkeit handelt, als rein handwerkliches Schaffen anzusehen.

Ob die Gesamtkomposition der von der Klägerin geschaffenen btx-Grußkarte als Kunstwerk anzusehen ist, kann hier dahinstehen, da nur bezüglich einzelner Elemente der Grafik eine Ähnlichkeit der btx-Seite der Beklagten mit der der Klägerin festgestellt werden kann.

Da der Klägerin begehrten Urheberrechtsschutzes somit bereits an einer Schutzfähigkeit der möglicherweise übernommenen Elemente scheitert, kann insoweit offenbleiben, ob die Klägerin überhaupt deren Urheber ist und ob es sich bei den Grafikelementen der Beklagten um Nachbildungen handelt.

2. Es bestehen auch keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche der Klägerin.

Grundsätzlich kommt in engen Grenzen neben dem Werkschutz aufgrund des Urheberrechtsgesetzes noch ein Leistungsschutz gemäß § 1 UWG in Betracht. Hierbei ist jedoch zu differenzieren, ob es sich um einen Fall der unmittelbaren Leistungsübernahme oder der Nachahmung handelt. Bei der unmittelbaren Übernahme wird ein fertiges Arbeitserzeugnis mittels eines meist technischen Vervielfältigungsverfahrens unter Ersparung eigener Kosten angeeignet und ohne jede eigene Verbesserung oder Zutat in unveränderter Form auf den Markt gebracht. Wird hingegen ein fremdes Arbeitserzeugnis nur als Vorbild benutzt und unter Einsatz eigener Leistungen nachschaffend wiederholt, so liegt eine Nachahmung vor (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 14. Aufl. 1983, § 1 Rdn. 386, 435). Es erscheint durchaus möglich, daß die Motive der Klägerin manuell durch Tastendruck überspielt werden können; die Grafik der Beklagten weist aber eine andere Farbgestaltung und Unterschiede in Details, wie z.B. die Position des Schornsteins, auf, so daß eine unmittelbare Leistungsübernahme nicht in Betracht kommt. Es handelt sich vielmehr um einen Fall der Nachahmung.

§ 1 UWG hat aber nicht die Aufgabe, die nachgeahmte Leistung als solche zu schützen, selbst wenn sie mit erheblicher Mühe und großen Kosten geschaffen worden ist, da dies allein Zweck der Sondergesetze ist und andernfalls über § 1 UWG ein weiterer, ergänzender Werkschutz eingeführt würde. Die Nachahmung nicht geschützter Werke ist daher in der Regel erlaubt und entspricht dem Interesse der Allgemeinheit, es sei denn, es treten besondere, außerhalb des kunstschutzrechtlichen Tatbestandes liegende Umstände hinzu, welche die Nachahmung wettbewerbsrechtlich als unlauter erscheinen lassen (BGHZ 5, 1, 10 »Hummel-Figuren«; Reimer/v.Gamm, Wettbewerbsrecht, Kap. 29 Rdn. 3, 8). Solche besonderen Umstände, die die Sittenwidrigkeit der Nachahmung der Motive durch die Beklagte zur Folge hätten, sind nicht ersichtlich.

Ein derartiger zusätzlicher Umstand ist insbesondere in der Herbeiführung einer Verwechslungsgefahr zu sehen. Ein Wettbewerbsverstoß ist aber unter den Gesichtspunkt der vermeidbaren Herkunftstäuschung nur dann als gegeben anzusehen, wenn es sich bei dem Vorbild um ein eigenartiges, überdurchschnittliches Erzeugnis handelt und der Übernehmende sein Erzeugnis in den Verkehr bringt, ohne zumutbare und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um der Gefahr der Herkunftstäuschung entgegenzuwirken. Das Erfordernis der Eigenart und Überdurchschnittlichkeit besagt, daß für den wettbewerbsrechtlichen Schutz nur diejenigen Erzeugnisse in Betracht kommen, bei denen der Verkehr Wert auf ihre betriebliche Herkunft legt und gewohnt ist, aus bestimmten Merkmalen auf die betriebliche Herkunft zu schließen. Umgekehrt ausgedrückt heißt dies, daß solche Produkte einem Schutz vor, Nachahmung nicht zugänglich sind, bei denen das Publikum keinen Wert auf die Herkunft aus einem bestimmten Betrieb legt (BGHZ 50, 125, 130 f. »Pulverbehälter«; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., § 1 Rdn. 392). Es ist nicht ersichtlich, daß die Grafikmotive der Klägerin im Bereich der btx-Grußkarten einen derartigen Bekanntheitsgrad erreicht haben, daß sie vom Verkehr als Herstellerhinweis gewertet werden könnten. Auch fehlt es ihnen, wie bereits ausgeführt wurde, an seiner für die herkunftskennzeichnende Wirkung erforderlichen eigenartigen Gestaltung. In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, daß btx-Kundige, die die btx-Grußkarten der Klägerin kennen, ähnliche Motive bei der Beklagten erkannt haben. Dies wäre nur dann beachtlich, wenn sie allein von den einzelnen Motiven darauf geschlossen hätten, daß es sich hierbei um Grußkarten der Klägerin handeln müsse. Das könnte aber allenfalls dann möglich sein, wenn die gesamte btx-Seite von der Beklagten übernommen worden wäre. Dies ist aber nicht geschehen; vielmehr befindet sich am oberen linken Bildrand ein eindeutiger Anbieterhinweis und die Gesamtkomposition des Bildes ist bis auf die Motive Kirche und Häuser eine andere. Zwar ergibt sich aus dem Anbieterhinweis nicht zwingend, daß es sich um eine selbstgeschaffene Gestaltung und nicht um eine fremde Leistung handelt; die Klägerin trägt aber selbst vor, daß die von ihr erstellten Motive auch von Unteranbietern genutzt werden. Diese werben somit gleichfalls mit einer Leistung der Klägerin für ihr eigenes Programm Auch die Klägerin behauptet aber nicht, daß durch diese Verwertung Verwechslungsgefahr hervorgerufen werde. Die Frage, ob eine Herkunftstäuschung des Verkehrs bewirkt wird, hängt aber augenscheinlich nicht davon ab, daß Unteranbieter die Grafik entgeltlich und die Beklagte sie unentgeltlich nutzt. Die Gefahr einer betrieblichen Herkunftsverwechslung besteht demnach nicht.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Behinderungswettbewerbs in Form der Preisunterbietung.

Durch § 1 UWG soll nicht der Leistungswettbewerb, zu dessen Wesen auch die freie Preisgestaltung gehört, ausgeschlossen werden. Ist die Nachahmung eines nicht besonders geschützten Produktes zulässig, so kann eine dadurch ermöglichte Preisunterbietung nicht wettbewerbswidrig sein (Reimer/v.Gamm, a.a.O., Kap. 29 Rdn. 30; BGH GRUR 85, 289, 291 »Tonfiguren«).

Da somit aber weder ein Verstoß gegen das Urheberrechts- noch gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb vorliegt, sind sowohl der Unterlassungs- wie auch der Schadensersatzanspruch unbegründet.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 Satz 1 ZPO.

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