Darf man eigentlich das Internet zum Telefonieren missbrauchen? Und was sagt die Telekom dazu? Fragen, die 1997 die Internet-Community bewegten. Auch wenn die Bandbreiten eigentlich vernünftiges Telefonieren noch gar nicht erlaubten. Rechtsanwalt Strömer diskutierte am 15. März 1997 im WDR in der Sendung Computer Club mit Wolfgang Back live im Sudio über das Thema.
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Moderator Wolfgang Back:
Unser Gast, der nachher auf dem Podium sitzen wird, ist Tobias Strömer. Er war schon mal bei uns im Computerclub, da ging es um Rechtsfragen. Auch heute geht es um Rechtsfragen. Sie geben Antwort, denn das Internet und die Juristerei, das wird ja immer bunter, im Grunde genommen.
Studiogast Rechtsanwalt Tobias H. Strömer:
... und interessanter!
[...]
Wolfgang Back:
Herr Strömer, was wir eben da gemacht haben, im Ansatz: Wir haben telefoniert über das Internet ohne Telekom. Die Telekom ist Monopolist, immer noch, bis zum Jahresende. Und vor vier oder fünf Jahren, da hätte man uns bestimmt den Kopf abgerissen, für das, was wir da gemacht haben. Denn wir haben das Monopol gebrochen. Ist das so?
Tobias H. Strömer:
Es ist noch nie strafbar oder verboten gewesen, zu versuchen zu telefonieren. Aber wenn das dann tatsächlich mal richtig funktioniert, dann ist das heute noch eher erlaubt als damals. Telefonieren im Internet ist immer problemlos möglich gewesen. Die Frage ist nur, ob Sie es bereitstellen dürfen, ob Sie es vermitteln dürfen, denn irgend jemand muß Ihnen ja die Möglichkeit auch bieten, das zu tun. Da sind wir aber - zumindest heute - aus der "Strafbarkeits-Ecke" ganz raus. Wir brauchen auch keine Lizenz dafür, aus vielen Gründen. Zum Beispiel deshalb, weil das keine Übertragung von Sprache in Echtzeit ist und weil es keine direkte Übermittlung von Daten ist.
Wolfgang Back:
Da hilft das neue Telekommunikationsgesetz vom letzten Jahr. Ich habe beim Postministerium angerufen und die haben mir zum Schluß auch den Tip gegeben: Denken Sie doch einfach daran, was die Telekom macht mit ihrem T-Online: Sie liefert ja Cool Talk, das ist ja auch ein Telefonie-Programm, mit aus. Also haben sie doch die Segel gestrichen. Aber Sie kennen ja auch noch die Zeit, als die armen Leute verhaftet wurden, weil sie so ein komisches Modem hatten, wo hinten das falsche "Bapperl" drauf war. Ich glaube, das Internet hat das alles zum Einbruch gebracht.
Tobias H. Strömer:
Ich glaube nicht. Die Dimensionen haben sich nur völlig verschoben. Man hat damals ein relativ überschaubares Feld gehabt. Man hat ein Modem gehabt, man hat gewußt, das ist nicht zulässig, so ein Modem zu haben. Die Post - damals noch die Post als Monopolbetrieb - hat auch großen Wert darauf gelegt, daß die Leute nicht mit nichtzugelassen Modems rumliefen. Heute sind die Probleme viel, viel komplexer. Die Juristerei kommt nicht mehr mit und auch die Telekom kämpft gegen Windmühlenflügel, wenn sie in diesem Bereich noch etwas unternehmen will.
Wolfgang Back:
Also Sie glauben, es ist alles gelaufen, das Ganze ist nun sehr viel demokratischer geworden, weil nämlich das Internet aus der Welt auch zu uns reingeströmt ist?
Tobias H. Strömer:
Was die Überwachung der Technik und die Kontrolle der Technik durch einen Monopolisten betrifft: Sicherlich, ja. Probleme gibt es im inhaltlichen Bereich.
[...]
Wolfgang Back:
So, Denny, gibt es Fragen an unser Podium?
Co-Moderator Denis Giffeler:
Ja, mit Sicherheit. Es sind also wieder einige Fragen reingekommen, weil natürlich das Interesse gerade an dem rechtlichen Themenschwerpunkt ganz groß ist. Hier fragt zum Beispiel zum Zusammenhang "Teledienstegesetz" der Herr Olaf Smettons aus Heiligenhafen: Wenn er jetzt Links einrichtet, eine Linkliste, was man ja im Internet täglich antrifft, ist das legal oder muß er Angst haben daß, wenn ein Link - wir haben das ja jetzt aus dem politischen Bereich gehört - auf irgendwelchen merkwürdigen Inhalt zeigt, daß er dann rechtlich belangt werden kann.
Tobias H. Strömer:
Das hängt davon ab, ob er es vorsätzlich oder zufällig macht. Das Verfahren, das gegen die Frau Marquardt läuft, in Berlin, das ist ein Verfahren, wo es darum geht, daß vorsätzlich auf ein unerlaubtes Angebot gelinkt wurde. Wenn das zufällig passiert, weil sich die Inhalte verändert haben hinter den vorher neutralen Seiten, dann ist das sicherlich nicht strafbar. Alles andere ist leider offen, das wird das Amtsgericht Tiergarten in Berlin am 6. Juni zum ersten Mal entscheiden.
Wolfgang Back:
Wann weiß man, was da so zufällig ist? Ist das Allgemeinwissen?
Tobias H. Strömer:
Man kann in der Praxis, Herr Back, schon sehr gut unterscheiden, ob man - auf einen "Radikal"-Server zum Beispiel - ausdrücklich verweist, oder ob das zufällig geschieht. Dann wenn ich einen Link auf eine unverfängliche Seite habe und der Betreiber der Seite ändert ein Bild oder ändert die Seite, dann wird das nicht mir angelastet. Schon deshalb nicht, weil es mir dann am Vorsatz fehlt und weil ich dann für die Strafbarkeit nicht schuldhaft gehandelt habe.Es gibt keine fahrlässige Beihilfe zu einer Straftat.
Denis Giffeler:
Die nächste Frage ist von Horst Dieter Schilling aus Bremen. Der hat ein ganz berechtigtes Interesse, der sagt: Wenn er an seinem Arbeitsplatz surft und die Informationen über die Seiten, auf denen er gewesen ist, ja im Speicher gehalten werden, in einem Cache-Verzeichnis, und der Arbeitgeber guckt sich das an, um dann rauszukriegen: "Hat der hier sinnvoll für mich gearbeitet oder macht der alles nur zum Spaß?" Kann das der Arbeitgeber machen? Darf der das machen? Oder widerspricht das den rechtlichen Bestimmungen, die wir hier haben?
Tobias H. Strömer:
Auch das ist eine interessante Farge, weil es eine praktische Frage ist. In der Praxis ist das umstritten. Da wo ein Betriebsrat besteht, dürfte der Betriebsrat mitbestimmungsberechtigt sein. Er dürfte also darüber wachen können, ob der Arbeitgeber überprüft. Im anderen Fall spricht vieles dafür, daß der Arbeitgeber nachgucken darf, weil das ja ein dienstlich genutzter Computer ist. Die Leute, die privat surfen, sollten sich deshalb beim Arbeitgeber vorher "grünes Licht" holen.
Wolfgang Back:
Man sollte davon ausgehen, daß da nachgeguckt wird, glaube ich. Das ist ja auch so einfach mit diesen Computern. Man setzt da irgendwo nur den Computer drauf und der schreibt alles mit.
Tobias H. Strömer:
Wenn der Arbeitgeber dazu in der Lage ist und abends mal Zeit hat, dann wird er im Zweifel mal reingucken, ja.
Wolfgang Back:
Dann sollte man also genau wissen, was man macht während des Tages ...
Denis Giffeler:
Die nächste Frage hat einen direkten Bezug zu dem, was wir vorhin versucht haben: Telefonie mit Australien, schöne neue Welt. Der Herr Lamparter, er wohnt in Brasilien - das ist eine Mail, die uns Brasilien erreicht hat -, fragt: "Ist es erlaubt, daß eine amerikanische Firma, wie zum Beispiel Net Phone, Telefongespräche vom Internet in das Festnetz vermittelt und für einen Anruf nach Deutschland 24 Cent berechnet werden. Die Vermittlung via eines Gateways findet in den USA statt." Also einfach: Das ist eine amerikanische Firma, die vermittelt das Ganze und stellt sozusagen vom PC Anrufe ins normale Telefonnetz durch.
Wolfgang Back:
Zur Information können wir jetzt sagen, daß auf der CeBIT ja ähnliches passiert: Denn wenn man mit diesem System VocalTech, das wir eben gezeigt haben, nach Hannover anruft, dann steht dort ein Server, und der geht auch ins Festnetz hinein, nach Hannover. Und vor allem: Alle Telefone auf der Messe sind erreichbar. Also, das ist nichts Neues, das passiert auch jetzt hier.
Tobias H. Strömer:
Das ist ein Sachverhalt, der, wenn er in Brasilien stattfindet oder den USA, erstens dem Telekommunikationsgesetz nicht unterfallen wird, und zweitens wird kein Hahn danach krähen, wenn es denn dort gemacht wird. Im übrigen wäre auch das interessanterweise nach dem Telekommunikationsgesetz zulässig, weil es sich nicht um die Vermittlung von Sprache in Echtzeit handelt und weil die Sprache nicht direkt übertragen wird, sondern über zufällige Wege, weil es keine Telefonie im herkömmlichen Sinne ist.
Wolfgang Back:
Sondern? Was ist es eigentlich? Sprachübermittlung?
Tobias H. Strömer:
Übermittlung von Sprachdaten über das Internet. Das ist nichts anderes als eine Übermittlung von Bilddaten. Über fremde Netze zudem noch. Das Telekommunikationsgesetz hat da sicherlich noch Lücken. Die Telekom sieht - Sie haben es eben angesprochen - keinen Handlungsbedarf zur Zeit, weil sie sagt: "Das ist eine ganz andere Qualität des Telefonierens." Aber ich denke mal, die Zeit ist ja nicht mehr sehr weit, bis wir größere Bandbreiten haben.
Wolfgang Back:
Ja, dann geht das wunderbar über das Netz.
[...]
Dennis Giffeler:
Hier ist jemand von einer Uni in Freiburg, der Herr Kumpel, und der möchte uns noch mal sagen: "Super Leute! Es ist mal wieder so weit, daß Ihr allen Leuten zeigt, daß man das Internet für so was wie die Übertragung von Sprache mißbraucht. Müßt Ihr das eigentlich zeigen, das ist doch eigentlich nur eine Spielerei!" Der geht natürlich dahin, daß wir zu wenig Bandbreite haben, im Internet und daß das belastet.
Wolfgang Back:
Noch! Das wird ja sicherlich alles besser werden. Ist das ein Mißbrauch, Herr Strömer?
Tobias H. Strömer:
Nein, gewiß nicht. Ich sage mal so: Es gibt schon Grenzen, wo ich mit meinem Provider etwas ausmache. Wir haben solche Mißbrauchsfälle ja gehabt, im Bereich der E-Mail zum Beispiel, wo man zu viele E-Mail verschickt hat - "Junk Mail". Das Gleiche könnte ich mir vorstellen bei der Sprachtelefonie, aber natürlich nur dann, wenn ich es ausdrücklich mit meinem Provider so vereinbart habe. Solange der Provider mir das erlaubt, kann ich es auch machen.
Dennis Giffeler:
Wir haben sicherlich noch einige Mails über T-Online.
Co-Moderator M. Mehringhausen:
Ein Markus König aus Niederhagen möchte gerne wissen, wie das ist, wenn ein Anbieter aus dem Internet zum Beispiel hergeht und per Actif-X oder per Java nachguckt, ob man da nichtlizensierte Software auf dem Rechner hat. Darf der das?
Tobias H. Strömer:
Auch das ist eine hochinteressante Frage, die akut geworden ist, als Windows 95 aufkam, als man Microsoft nachgesagt hat, daß die sowas machen. Was Microsoft ja ganz energisch in Abrede gestellt hat. Es ist ein bißchen schwer: Ich mache mich strafbar dann, wenn ich ein Paßwort knacke und Zugangssperren überwinde. Das ist hier in den meisten Fällen nicht der Fall. Es wird aber auch hier die Praxis die Frage erledigen, ob man das machen darf oder nicht. Derjenige, der so etwas gemacht hat und tatsächlich nach Raubkopien gesucht hat, und das anschließend auch noch verwerten will für eigene Zwecke, der wird zunächst einmal auf das Problem stoßen, daß kein Mensch mehr bei ihm Software kauft. Und er wird im übrigen möglicherweise Probleme kriegen mit der Beweisverwertung im Gerichtsverfahren.